Aktualisiert: 24. August 2023

Hysterese: Definition, Bedeutung und Beispiele

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Den Begriff Hysterese trifft man in der VWL gewöhnlich in der Arbeitsmarktökonomik. Hier erklärt er, wieso neu entstandene Arbeitslosigkeit nach Beseitigung der Ursachen nie vollständig zurückgeht. In diesem Artikel geben wir euch einen Überblick zur Definition der Hysterese. Und stellen euch einige Anwendungsfelder in der VWL neben dem Arbeitsmarkt vor.

Definition Hysterese einfach erklärt

Hysterese: Bezeichnung für Systeme, deren Gleichgewichte vom Zeitpfad abhängen. 

Hysterese (am Arbeitsmarkt): These, dass eine langanhaltende Periode hoher Arbeitslosigkeit die natürliche Arbeitslosenquote ansteigen lässt.

Die erste Definition von Hysterese ist eine allgemein gültige Definition. Hysterese bezeichnet lediglich Systeme, deren Gleichgewichte vom Zeitpfad abhängen. 

Man bezeichnet Hysterese deshalb auch als Pfadabhängigkeit

Diese Pfadabhängigkeit ist ein Erklärungsansatz, mit dem man in der Volkswirtschaftslehre versucht zu erklären, warum ökonomische Erschütterungen noch lange fortwirken können, nachdem die auslösende Störung beseitigt wurde.

Das bekannteste Beispiel für Hysterese in der VWL bietet die Arbeitsmarktökonomik. In den gängigen Lehrbüchern findet sich oftmals ein eigenes Teilkapitel, in dem Hysterese (oder Hysteresis) als Erklärungsansatz für langanhaltende Arbeitslosigkeit diskutiert wird. Wir haben deshalb auch die Definition für Hysterese am Arbeitsmarkt aufgeführt. 

Dennoch ist das Hysterese-Phänomen nicht auf die Erklärung der Arbeitslosigkeit beschränkt. Man findet den Hysterese-Ansatz sowohl bei mikroökonomischen Themen als auch bei makroökonomischen Themen. 

Hintergrund 

Das Phänomen der Hysterese stammt ursprünglich aus der Physik. Hier aus dem Konzept der Trägheit aus der klassischen Physik. In der Physik bezeichnet sie das Verharren einer Wirkung aus nach dem Wegfall der Ursache. Ein Beispiel ist hier die Analyse von Magnetfeldern. Die Wirkung dauert weiter fort, selbst wenn die Ursache schon längst abgeklungen ist.

Es dürfte euch auffallen, dass diese Beschreibung mit der oben genannten Definition im volkswirtschaftlichen Kontext fast identisch ist. In diesem Sinne war es denn auch für die Forschenden relativ einfach, dieses ursprünglich physikalische Phänomen auf (passende) Fragestellungen der Volkswirtschaftslehre anzuwenden.

Wie bereits erwähnt, wurde der Hysterese-Ansatz zuerst zur Erklärung von Arbeitslosigkeit verwendet. Insbesondere von konjunktureller und struktureller Arbeitslosigkeit. Der zweite bedeutende Anwendungsbereich für den Hysterese-Ansatz sind die Außenwirtschaftstheorie und die Wachstumstheorie. Weniger prominent, aber dennoch immer wieder aufblitzen, tut sich der Erklärungsansatz in der Industriepolitik. Und in der Finanzwissenschaft und Konjunkturpolitik. 

Zum Unterschied Hysterese und Persistenz 

Ein Begriff, der von der Bedeutung her demjenigen der Hysterese ähnlich ist, ist die Persistenz.

Hauptsächlich im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit spricht man häufig von persistenter bzw. langanhaltender Arbeitslosigkeit. Diesen Aspekt finden wir auch bei der Hysterese. Beide Begriffe werden deshalb oft synonym verwendet. Dennoch haben sie eine unterschiedliche Bedeutung und man unterscheidet sie inhaltlich.

Die Gemeinsamkeit beider Begriffe besteht darin, dass geschaut wird, wie sich in Systemen Gleichgewichte im Zeitablauf infolge von außergewöhnlichen Ereignissen entwickeln. 

Persistenz: Der Begriff stammt aus dem Lateinischen. Er bedeutet, dass eine Wirkung lange anhält. Der ursprüngliche Zustand wird sich wieder einstellen. Auf Arbeitslosigkeit bezogen bedeutet dies, dass es zwar sehr lange dauern wird. Die infolge einer Rezession gestiegene Arbeitslosenquote geht aber wieder vollständig auf den ursprünglichen Wert zurück.

Hysterese: Der Begriff stammt aus dem Griechischen. Im Gegensatz zur Persistenz bleibt die Arbeitslosigkeit bestehen, nachdem die Ursache weggefallen ist. Zumindest wird nicht wieder der Vorkrisenwert erreicht.

Hysterese in der Volkswirtschaftslehre

1. Arbeitslosigkeit und Hysterese

Das erste und prominenteste Anwendungsgebiet für den Hysterese-Ansatz in der VWL ist die Erklärung der Entstehung von struktureller und konjunktureller Arbeitslosigkeit.

Der Kern ist hierbei, dass der Ansatz zur Erklärung einer steigenden Sockelarbeitslosigkeit verwendet wird. D. h., warum das „Grundniveau“ der Arbeitslosigkeit steigt.

Diesen Zusammenhang skizziert vereinfacht die folgende Grafik.

hysterese

Sie stellt den Zusammenhang zwischen der Arbeitslosenquote (ALQ) und dem Zeitablauf dar. Und wie sich die Arbeitslosigkeit aufgrund eines exogenen Ereignisses, hier einer Wirtschaftskrise, entwickelt. In der Grafik steigt nun die ALQ plötzlich und sprunghaft. Nach diesem sprunghaften Anstieg steigt sie auch noch weiter. Ab dem Ende der Wirtschaftskrise sinkt die ALQ wieder, ebenfalls sprunghaft. Allerdings nicht wieder auf das ursprüngliche Niveau. In der Folgezeit kann aufgrund anderer Effekte die Arbeitslosigkeit auch wieder ansteigen. Allerdings basieren diese Entwicklungen jetzt auf einem höheren „Ausgangswert“.

Als Beispiel für diese Darstellung eignet sich die Zeit der zwei Ölpreisschocks in den Jahren 1973 und 1979. 

In der hier -aufgrund der gestiegenen Importpreise für Öl- einsetzenden Rezession stieg die Arbeitslosigkeit sprunghaft an. In dem nachfolgenden Konjunkturaufschwung bildete sich die höhere Arbeitslosigkeit aber nicht wieder vollständig zurück. Ein langfristiger, treppenförmiger Anstieg der Arbeitslosigkeit ist damit die Folge. So wie in der Grafik dargestellt.

Die Ursachen für diese Effekte sind Gegenstand verschiedenen anderer Theorien in der Arbeitsmarktökonomik. Sie reichen vom Verlust der Berufsqualifikation der Arbeitnehmer, über Machtstrukturen bei Lohnverhandlungen hin zu Anpassungen der Unternehmen. Insgesamt erklärt der Hysterese-Effekt zwar, warum der Anstieg der Arbeitslosigkeit beobachtet wird. Die detaillierten Ursachen hierfür sind aber in anderen Ansätzen besser erklärt. Hierfür bietet sich eher die Konzepte der Phillips-Kurve (Zusammenhang Inflation und Arbeitslosigkeit) oder natürlichen Arbeitslosenquote (NAIRU) an. 

2. Hysterese und Außenwirtschaft: flexible Wechselkurse

Die Außenwirtschaftstheorie ist das zweite Forschungsgebiet, auf das der Hysterese-Ansatz angewendet wird. Hier nutzt man ihn vor allem in der monetären Theorie, um zu erklären, warum vorübergehende Wechselkursänderungen zu dauerhaften Änderungen in der Außenhandelsstruktur führen. 

Man spricht hier auch von einer sogenannten Wechselkurshysterese. Sie tritt vor allem auf, wenn flexible Wechselkurse vorliegen und auf den relevanten Märkten für die Unternehmen hohe Markteintritt- und Marktaustrittskosten vorliegen.

Vereinfacht formuliert bedeutet diese Situation für handelnde Unternehmen, dass sie bei Wechselkursänderungen lange warten, bis sie in einen Markt eintreten oder ihn wieder verlassen, aufgrund der damit verbundenen hohen Kosten. Die Gefahr von Fehlentscheidungen ist damit für Unternehmen besonders hoch, da sich die Wechselkurse auch wieder ändern können. In diesem Beispiel liegen flexible Wechselkurse vor. Ihre einmal getroffenen Entscheidungen können die Unternehmen damit nur unter hohen Kosten wieder ändern bzw. korrigieren.

Findet beispielsweise eine Aufwertung der inländischen Währung statt, treten ausländische Unternehmen in den Markt ein. Wertet nun aber die Währung wieder auf das Ausgangsniveau ab, werden diese Unternehmen den Markt nicht wieder verlassen. Sie zögern aufgrund der hohen Marktzutrittskosten. In diesem Fall entsteht ein Hysterese-Effekt. Der ursprüngliche Effekt, die Aufwertung der inländischen Währung, ist nicht mehr vorhanden. Der Effekt der geänderten Außenhandelsstrukturen ist aber geblieben. Oder zumindest nicht vollständig rückgängig gemacht. Grafisch darstellen lässt sich dieses Phänomen auch mit der sogenannten J-Kurve. 

3. Hysterese und Industriepolitik in der neuen ökonomischen Geografie 

Hysterese-Effekte haben auch Bedeutung im Rahmen der Industriepolitik. Ein Beispiel wäre hier der Ansatz der neuen ökonomischen Geografie mit dem Kern-Peripherie-Modell von Paul Krugman. Stark vereinfacht formuliert beschreiben diese Ansätze, wo und wie sich Wirtschaftsstrukturen in einer Volkswirtschaft entwickeln. Welche Faktoren beeinflussen, dass sich Unternehmen und Menschen („Arbeitskräfte“) an einem Ort ansiedeln, so dass es hier in der Fachsprache zu „Agglomeration“ kommt und nachhaltige Industriestandorte entstehen? Der zentrale Ansatzpunkt der Neuen ökonomischen Geografie und dem Krugman-Modell besteht nun darin, dass Paul Krugman hier seine Erkenntnisse aus der neuen Außenhandelstheorie integriert. Die Marktgröße, mobile Arbeitskräfte, Transportkosten im In- und Ausland spielen hier eine zentrale Rolle.

Die Hysterese-Eigenschaft des Modells ergibt sich bei der Analyse der Gleichgewichte des Modells, z. B. in Bezug auf Handelsliberalisierungen.   

Handelsliberalisierungen können in dem Modell dazu führen, dass eine extreme Agglomeration entsteht. Führt man diese Handelsliberalisierung wieder zurück, ergibt sich nicht wieder das ursprüngliche Gleichgewicht.  

Im Vordergrund des Hysterese-Effektes steht hier damit wieder nicht so stark der zeitliche Aspekt, sondern die Möglichkeit, ob der ursprüngliche Zustand wieder erreicht wird.

4. Hysterese und Staatsausgaben

In der Finanzwissenschaft arbeitet man indirekt bei der Analyse der Höhe und Struktur der Staatsausgaben mit dem Hysterese-Ansatz. Es hat sich im Zeitablauf gezeigt, dass in einem Wohlfahrtsstaat staatliche Ausgaben dem Hysterese-Phänomen unterliegen. Man spricht in diesem Zusammenhang hier auch von dem sogenannten „Displacement-Effekt“. Er kann anschaulich mit einer expansiven Konjunkturpolitik in einer Rezession beschrieben werden. In der Regel steigen in Ländern mit ökonomischen Krisen die Staatsausgaben sprungartig, um den negativen Auswirkungen entgegenzuwirken. Allerdings ist ebenfalls zu beobachten, dass nach Ende der Krise das erreichte höhere Niveau der Staatsausgaben nicht vollständig zurückgeführt wird. Konkret auf dieses Beispiel bezogen existiert z. B. der „Bürokratieansatz“ in der Finanzwissenschaft, um hier solche auftretenden Hystereseeffekte zu erklären.

Zusammenfassung

  •  Hysterese: Bezeichnung für Systeme, deren Gleichgewichte vom Zeitpfad abhängen. 
  • Hysterese (am Arbeitsmarkt): These, dass eine langanhaltende Periode hoher Arbeitslosigkeit die natürliche Arbeitslosenquote ansteigen lässt.
  • Hysterese wird oft synonym mit dem Begriff Persistenz (langanhaltend) verwendet. Beide Begriffe unterscheiden sich aber inhaltlich voneinander.
  • Das Konzept der Hysterese stammt ursprünglich aus der Physik und wurde auf Fragestellungen in der VWL adaptiert.
  • Die bekanntesten Anwendungsgebiete des Hysterese-Ansatzes sind die Erklärung struktureller Arbeitslosigkeit, sowie die Effekte von (flexiblen) Wechselkursänderungen auf die Außenhandelsstruktur.

Literatur


  • Blanchard, Olivier und Gerhard Illing. Makroökonomie, Pearson Education Deutschland GmbH, 2017. 
  • Franz, Wolfgang (2013): Arbeitsmarktökonomik, 8. Auflage, SpringerGabler.
  • Mankiw, N. Gregory. Makroökonomik: Mit vielen Fallstudien, Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft Steuern Recht GmbH, 2017.

Über die Autorin: 

Nadine Behncke

Promovierte Volkswirtin und überzeugte Europäerin. Ihre Schwerpunkte sind die Entwicklung und Herausforderungen der EU mit ihren Auswirkungen und Folgen auf Deutschland und seine Bevölkerung. Sie schreibt auf Think About zu Politik, Wirtschaft & Geschichte in Europa, um Wissen zu vermehren und zur Diskussion beizutragen.


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