Aktualisiert: 2. März 2023

Karlspreis: Der Traum vom geeinten Europa

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​Der Karlspreis wurde 1950 gegründet und wird jährlich an Christi Himmelfahrt vergeben. Der bedeutende Preis zeichnet Personen aus, die sich für die friedliche Einigung Europas einsetzen.

Geschichte und Ziele des Karlspreises

Die Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises (Karlspreisgesellschaft) wurde 1950 gegründet. Der Aachener Kaufmann Kurt Pfeiffer hatte im Dezember 1949 die Idee einen Preis zu stiften. Er wollte der Stadt Aachen einen internationalen Preis stiften, der jenen zukommen sollte, "die den Gedanken der abendländischen Einigung in politischer, wirtschaftlicher und geistiger Beziehung gefördert haben".

So kurz nach dem zweiten Weltkrieg waren die Schrecken und Ereignisse noch allgegenwärtig. Kurt Pfeiffer und seine Unterstützer wollten einen Gegenentwurf zur nationalsozialistischen kriegerischen Einigung Europas fördern: eine friedliche Einigung des europäischen Kontinents. Diesen Gegenentwurf fanden sie im Wirken Karls des Großen. Der in Aachen zum Kaiser gekrönte „Pater Europae“ hatte die damals lateinische Welt unterworfen, die Kultur auf dem europäischen Kontinent verbreitet und die Welt neu geordnet. Die Aachener sahen in der Person Karls des Großen ein Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft Europas.

Zum Stiftergremium des Karlspreises zählten Vertreter aus der Wirtschaft, Kirche und Wissenschaft. Seit 1950 wird der Karlspreis einmal jährlich vergeben. Ein Verdienst des Preises ist es, bereits so kurz nach dem zweiten Weltkrieg auf die Möglichkeit einer friedlichen europäischen Einigung hinzuweisen. Er zeigte, dass es mit Karl des Großen bereits eine europäische Tradition gab, die vor dem Zeitalter der Nationalstaaten einsetzte. Bereits nach wenigen Jahren war der Karlspreis international etabliert und genoss ein hohes Ansehen. Zu den Preisträgern und Gästen zählen zahlreiche ranghohe Politiker aus allen europäischen Staaten.

Nicht selten verkünden sie in ihren Dankesreden ihre Visionen von einem zukünftigen in Aachen. Der weite Begriff der europäischen Einigung führt dazu, das der Karlspreis nicht nur Politiker auszeichnet, obwohl diese naturgemäß in der Überzahl sind. Auch Wissenschaftler, Päpste oder Schriftsteller werden für ihre Ideen ausgezeichnet. So hat im Jahr 2017 der britische Historiker und Schriftsteller Timothy Garton Ash den Preis für die in seinen Büchern enthaltende Vision Europas erhalten.

Der Karlspreis als Spiegelbild der europäischen Integration

Betrachtet man die Preisträger des Karlspreises im Zeitablauf hat man den Eindruck im „Who is who“ der europäischen Integration zu blättern. Auch wenn der Karlspreis nicht nur an Politiker oder Europäer verliehen wurde, erkennt man an den Preisträgern rückblickend eindeutig die Entwicklungsgeschichte der EU. Im Anschluss an die ersten Preisträger die für ihre Vision eines europäischen Bundesstaates geehrt wurden, erhielten in den 50er Jahren die sogenannten Gründerväter der EU den Karlspreis. Geehrt wurden die Regierungschefs der sechs Gründerstaaten der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sowie deren geistige Gründer, wie Robert Schumann.

Durch seine Vergabepraxis machte der Karlspreis aber auch selber Politik. Zudem bezog er durch manche Preisträger auch Stellung und mischte sich in den öffentlichen Diskurs ein. Je etablierter der Preis wurde desto stärker wurde auch sein Echo in der Öffentlichkeit. So zeichnete das Karlspreisgremium zum Beispiel 1963 einen Briten aus. Das Besondere an dieser Auszeichnung war die Person an die der Preis verliehen wurde sowie der Zeitpunkt der Bekanntgabe.

Ausgezeichnet wurde der damalige Delegationsleiter der Briten als es um das Beitrittsgesuch der Briten zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ging. Und bekannt gab das Gremium seine Entscheidung einen Tag nach De Gaulles berühmten „no“. Hierdurch bezog der Karlspreis eine klare Position in Bezug auf eine mögliche Erweiterung der EWG. Ähnliches gilt für die 90 er Jahre als die norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland erhielt. Man würdigte ihren Einsatz für einen Beitritt Norwegens zur EU. Zu diesem Zeitpunkt war der Ausgang des Beitritt Referendums noch offen.

In manchen Jahren fiel die Ehrung aus

Allerdings kann man am Karlspreis auch den Zustand des europäischen Integrationsprozesses ablesen. Und nicht alle Preisträger stießen immer auf Zustimmung. So nahm zum Beispiel Robert Schumann seinen Karlspreis erst 1958 an. Eigentlich hatte er ihn bereits 1951 erhalten sollen. Aber 1958 war der Karlspreis bereits etabliert und Robert Schumann nicht mehr französischer Außenminister sondern Präsident des europäischen Parlamentes.

Und gegen Winston Churchill wurde in Aachen 1956 anlässlich seiner Preisannahme protestiert. Überliefert ist, dass er gegenüber seiner Frau verwundert feststellte: „Man mag mich nicht...“. Ihre Antwort: „Wundert dich das?“.

Die Proteste gegen Churchill waren allerdings kaum erwähnenswert gegenüber den Kontroversen, die die Verleihung des Preises 1987 an den früheren US-Außenminister Henry Kissinger verursachte. Hier protestierte nicht nur die Bevölkerung sondern dieser Preisträger spaltete auch das Karlspreis-Direktorium. Für manche galt Kissinger als Abrüstungspolitiker. Andere warfen ihm seine Politik während des Vietnam-Krieges vor.

In einigen Jahren, überwiegend in den 60ern, gab es zudem überhaupt keinen Karlspreis. Insgesamt gibt es –trotz der jährlichen Vergabepraxis- zehn Jahre, in denen kein Preis verliehen wurde. Dies kann man auf den damals stockenden europäischen Integrationsprozess zurückführen. Es gab damals einfach keine Personen, die für das Auswahlgremium als Preisträger in Frage kamen. Als die europäische Integration später wieder Fortschritte machte, wurden dann auch wieder Preise verliehen.

Kritik am Karlspreis

Neben gelegentlichen Protesten gegen bestimmte Preisträger existieren drei Punkte, bei denen der Karlspreis öffentlicher Kritik ausgesetzt ist. Der erste Kritikpunkt richtet sich ausgerechnet gegen den Namen und den Bezug des Karlspreises. Der Karlspreis beruft sich ja auf Karl den Großen, der die erste Vereinigung Europas erlangt hat. Allerdings hat Karl der Große dies nicht auf friedlichem Wege erreicht sondern über Krieg. Insbesondere durch seine grausame Vorgehensweise während der Sachsenkriege hat er den Beinamen „Sachsenschlächter“ erhalten. Aber allgemein kann festgestellt werden, dass Karl der Große trotz seiner großen Verdienste für das damalige Europa aus heutiger Sicht den Karlspreis wohl nicht mehr erhalten würde.

Die weiteren beiden Kritikpunkte liegen in der Vergabepraxis des Preises begründet. Zum einen stellt man immer wieder fest, dass vor allem christliche und konservative Politiker den Preis erhalten. So haben zum Beispiel alle christdemokratischen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland den Preis erhalten. Selbst Kanzler, wie Ludwig Ehrhardt, die nur eine relativ kurze Regierungszeit hatten. Sozialdemokratische Kanzler, wie etwa Willy Brandt erhielten den Preis dagegen nicht. Obwohl dessen Ost-West-Entspannungspolitik sogar mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Ebenso hat auch der 2015 verstorbene Kanzler Helmut Schmidt den Preis nicht erhalten. Obwohl er eindeutig die Weiterentwicklung der damaligen Europäischen Gemeinschaft in den 1980ern gefördert hat.

Der dritte Kritikpunkt liegt darin, dass bislang nur sehr wenige Frauen den Karlspreis erhalten haben. Insgesamt fünf Frauen erhielten in der Geschichte des Karlspreises diese Auszeichnung für ihre europäischen Verdienste. Allerdings muss man auch darauf hinweisen, dass in der europäischen Politik bzw. in den Nationalstaaten die Zahl der Spitzenpolitikerinnen erst in den letzten Jahren zugenommen hat. Der Karlspreis wird auch immer an Personen verliehen, die als Symbol für eine bestimmte Entwicklung oder ein Ergebnis fungieren. Und hierbei ist es unerheblich, ob der Preisträger ein Mann oder eine Frau ist.

Über die Autorin: 

Nadine Behncke

Promovierte Volkswirtin und überzeugte Europäerin. Ihre Schwerpunkte sind die Entwicklung und Herausforderungen der EU mit ihren Auswirkungen und Folgen auf Deutschland und seine Bevölkerung. Sie schreibt auf Think About zu Politik, Wirtschaft & Geschichte in Europa, um Wissen zu vermehren und zur Diskussion beizutragen.


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