Zurück in die Zukunft: Erdogan und die türkische Wirtschaftskrise


Seit Dezember letzten Jahres mehren sich die Anzeichen, das eine neue türkische Wirtschaftskrise droht. Obwohl die Türkei ihre letzte Krise von 2001 gut überwunden hatte und es in den darauffolgenden Jahren unter Präsident Erdogan zu einem Wirtschaftsaufschwung kam, scheint sich dieser Trend ins Gegenteil gedreht zu haben.

Das letzte Jahr hat dem Land zudem keine politische Stabilität gebracht. Im Gegenteil verlor das Land das Vertrauen inländischer und ausländischer Investoren aufgrund der politischen Instabilität.

Der Putschversuch im Sommer letzten Jahres und Präsident Erdogans Reaktion hierauf helfen nicht das Vertrauen in das Land wieder zu stärken.

Und auch die wichtigsten volkswirtschaftlichen Konjunkturindikatoren deuten darauf hin, dass eine dramatische türkische Wirtschaftskrise droht, wenn die Politik nicht in der Lage ist, zumindest die politische Unsicherheit einzudämmen und internationales Vertrauen zurückzugewinnen.

Die türkische Lira im Sinkflug

Der Wert der Landeswährung ist der bekannteste Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit und die Konjunktur einer Volkswirtschaft. Denn die Währung beeinflusst, wie teuer – und damit wie attraktiv- die produzierten Waren für ausländische Abnehmer sind oder ob sich die Türken Importe leisten können. Und in einer globalisierten Volkswirtschaft werden nicht nur Güter und Dienstleistungen von Konsumenten direkt importiert, sondern sind auch als Vorleistungen für in der Türkei selbst produzierte Produkte wichtig.

Doch die türkische Lira ist trotz zahlreicher Interventionen der Notenbank im Sinkflug. Was bedeutet, das zwar Exporte günstiger werden aber Importe teurer. Da die Türkei bereits seit Beginn des Jahrtausends ein beachtliches Leistungsbilanzdefizit aufweist, wird durch den schwachen Wechselkurs dieses Defizit noch erhöht. Seit dem Putschversuch im Juli hat die türkische Lira 30 % ihres Wertes verloren. Momentan bekommt man für einen Euro ungefähr vier türkische Lira: ein Rekordtief!

Problematisch ist hieran zudem, dass Inflation importiert wird. Die Inflationsrate von über 8% bewirkt, dass die türkischen Bürgerinnen und Bürger sich für ihren Lohn weniger leisten können.

Dass Präsident Erdogan bereits die im Ausland lebenden Türken dazu aufruft in der Türkei ihren Urlaub zu verbringen, damit das Leistungsbilanzdefizit durch einen Kapitalzufluss gedeckt werden kann, zeigt, wie ernst die Lage ist.

Und weckt Erinnerungen an die türkische Wirtschaftskrise in den 70er und 80er Jahren, wo der Devisenzufluss von im Ausland lebenden Gastarbeitern bis zu 20 % des Defizits deckte.

Türkische Wirtschaftskrise reloaded: Die Arbeitslosigkeit steigt

Die Arbeitslosigkeit in einem Land ist ein wichtiger Indikator für dessen wirtschaftlichen Zustand. Einerseits ist eine hohe Arbeitslosigkeit ein Indiz dafür, dass weniger Güter und Dienstleistungen als möglich produziert werden, was auf eine geringe Wettbewerbsfähigkeit des Landes schließen lässt. Andererseits sind Arbeitnehmer auch immer Konsumenten. Fehlt den Menschen aufgrund der Nichtbeschäftigung das Einkommen kann es nicht für den Erwerb von Waren und Dienstleistungen und einen zufriedenstellenden Lebensstil ausgegeben werden.

Nicht umsonst messen die Bürger und Bürgerinnen eines Landes die Leistung ihrer Politiker immer auch daran, wie hoch die Arbeitslosigkeit ist. Je niedriger sie ist, desto zufriedener sind sie mit ihrer Regierung. Die Türkei bildet da keine Ausnahme. Nach ihrer Wahl 2001 arbeitete die Regierung Erdogan deshalb daran, dass die Beschäftigung stieg und auch das Einkommen der Menschen. Zunächst hatten sie damit auch Erfolg: Zwischen 2006 und 2014 erhöhte sich der Reallohn der Türken im Durchschnitt von ca. 8900 € auf ca. 10000 € im Jahr.

Doch inzwischen ist die Arbeitslosigkeit gestiegen. Nach neuesten Daten von turkstat sind mehr als 11 % der Türken arbeitslos.

Politische Unsicherheit

Neben wirtschaftlichen Indikatoren beeinflussen auch politische Indikatoren die Wirtschaftsleistung eines Landes. Diese eher „soften“ Faktoren umfassen vor allem die Frage danach wie sicher ein Land ist.

Und man kann attestieren, dass sich die Sicherheitslage in der Türkei dramatisch verschlechtert hat. So schreibt die Huffington Post, dass 2016 bei Terroranschlägen knapp 500 Menschen starben.

Die neuerliche Eskalation des Kurden-Konfliktes und Erdogans Reaktionen auf den gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 verstärken die politische Unsicherheit in der Türkei zudem. Tausende Staatsbeamte wurden entlassen oder verhaftet. Und auch die Notstandsgesetze wurden bislang noch nicht wieder aufgehoben. Stattdessen stimmte gerade das türkische Parlament Erdogans Vorschlag zu, die Befugnisse des Präsidenten zu stärken. Generell ist eine Präsidialdemokratie nichts negatives, siehe zum Beispiel Frankreich. Aber wenn – wie in der Türkei- kein politischer Wettbewerb in Form einer Opposition möglich ist, verstärkt das die politische Unsicherheit. Hierüber geht nicht nur das Vertrauen in den Staatsapparat verloren sondern auch das Vertrauen in die Märkte.

Und die politische Unsicherheit trifft gerade eine der wichtigsten Wirtschaftsbereiche der Türkei. Die Tourismus-Branche erwirtschaftet ca. 13 % des jährlichen türkischen Bruttoinlandsproduktes. Die Kundenzahlen sind seit den Entwicklungen im vergangenen Jahr enorm zurück gegangen.

Autoritärer Regierungsstil

Verwandt mit dem vorherigen Punkt und doch hat er einen eigenständigen Einfluss auf die Wirtschaft eines Landes. Der Regierungsstil beeinflusst, wie das Ausland die Türkei einstuft. Ob es vertrauenswürdig ist und sich Investitionen nicht nur kurzfristig sondern auch langfristig lohnen.

Generell deutet eine Studie des amerikanischen Ökonomen Daron Acemoglu darauf hin, dass ein positiver Zusammenhang zwischen dem Wirtschaftswachstum eines Landes und der Staatsform Demokratie besteht. Er untersuchte dies für 175 Staaten in einem Zeitraum von 1960 bis 2010. Sein Hauptergebnis ist, dass vormals autoritäre Länder um 30 % mehr wachsen als Länder, die nicht demokratisch geworden sind.

Und in der Türkei deutet alles darauf hin, dass Erdogan die Demokratie nicht stärkt sondern stattdessen das Land in eine Autokratie umwandelt.

Das Land braucht Reformen um die drohende türkische Wirtschaftskrise abzuwenden. Doch der autoritäre Regierungsstil Erdogan ist eher dazu geeignet, das Vertrauen ausländischer Investoren zu erschüttern. Wenn der Präsident ausländische Investoren als „Wirtschaftsterroristen“ bezeichnet, deren Ziel es ist die türkische Wirtschaft zu beschädigen, ist dies wenig hilfreich.

Und auch seine jüngsten Forderungen nach Zinssenkungen um Investitionen zu erleichtern fördert die Sorge um die Unabhängigkeit der Notenbank. Denn die Chefs der türkischen Notenbank sind gegen Zinssenkungen.

Fazit

Nimmt man die wirtschaftlichen und die politischen Indikatoren zusammen ergibt sich für die türkische Wirtschaft ein düsteres Bild. Die momentanen Probleme könnten zu einer großen türkischen Wirtschaftskrise heranwachsen.

Sollte dies der Fall sein, könnte damit die Basis der Macht von Präsident Erdogan zerstört werden. Es ist die grundlegende Aufgabe einer Regierung bzw. eines Staates für Sicherheit und Wohlstand seiner Bevölkerung zu sorgen. Ist dies über einen gewissen Zeitraum nicht der Fall, verliert die Regierung ihre Berechtigung. Der Aufbau von (ausländischen) Feindbildern und die Stärkung eines Nationalstolzes sind da ebenfalls nur eine zeitlich begrenzte Lösung.


Weitere Artikel

Möchtest du über neue Artikel informiert werden?

Erhalte in unregelmäßigen Abständen eine Mail mit Informationen zu neuen Artikeln, Informationen und Angeboten von Think About.