Mai 30

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Wie wir unsere Wirtschaft retten

Als vor nun über einem Jahr die Corona-Krise begann, zeigte sich nach einigen Monaten, dass uns diese Krise doch etwas länger begleiten sollte. Obgleich inzwischen ein Impfstoff entwickelt wurde, offenbart die aktuelle Impfkampagne, dass zwischen Vorhersagen, Schätzungen und Umsetzung Welten liegen können. Die Corona-Pandemie offenbart zurzeit schonungslos, die Schwächen unseres Systems und unseres Zustands. Sei es bei der Digitalisierung, der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, der Effizienz der Verwaltung und Bürokratie oder der Frage, ob der Markt oder Staat besser geeignet ist, die Versorgung mit Gütern zu sichern. In diesem Fall z.B. FPP2-Masken oder Schnelltests. 

Wie immer, wenn gerade ein Thema aktuell ist, erscheinen viele Sachbücher, die eine Zustandsbeschreibung liefern und die Folgen für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft darstellen. Journalisten, Volkswirte, Politiker stehen hier an vorderster Front. 

Um Geldbeutel und ggf. den Platz im Bücherregal zu schonen, bietet es sich an, sich auf ein oder zwei Bücher zum Thema zu beschränken. 

Ich habe mich damals für das Buch von Clemens Fuest entschieden. „Wie wir unsere Wirtschaft retten. Der Weg aus der Corona-Krise“  

Buchrezension: Clemens Fuest: Wie wir unsere Wirtschaft retten

Da Herr Fuest Vorsitzender des Ifo-Institutes und Mitglied des Sachverständigenrates für Wirtschaft ist, hatte ich keine Zweifel daran, dass sein Buch die Krise und ihre Auswirkungen ausführlich und mit wissenschaftlicher Gründlichkeit darstellen würde.

Zudem konnte ich mich darauf verlassen, dass seine Ausführungen auf Basis volkswirtschaftlicher Theorien basierten.  

Ich wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil. Die Kapitel, die auch seine eigene Forschung und damit Expertise betreffen, sind so ausführlich mit den ökonomischen Argumenten und Wirkungsketten dargestellt, dass man sie teilweise zweimal lesen sollte, wenn man die Ausführungen nicht nur lesen, sondern auch langfristig verstehen möchte. 

Insgesamt behandelt das Buch getreu seinem Titel alle wesentlichen Bereiche der Volkswirtschaft in Einzelkapiteln ab, die von der Corona-Krise direkt oder auch indirekt betroffen sind. Hierbei nimmt er nicht nur die inländische Perspektive ein, sondern behandelt auch sehr ausführlich – wie in Büchern über die deutsche Volkswirtschaft üblich- die europäische Perspektive.

Die einzelnen Kapitel behandeln z.B. die Themen Konjunkturpolitik, Inflation und Staatsschulden, Europäische Geldpolitik sehr ausführlich. Ebenfalls werden behandelt, allerdings viel kürzer, die eher „sozialen“ Themen, wie die Zukunft des Sozialstaats, Home Office und Digitalisierung, Klimapolitik.

Besonders gefallen mir zudem die Einführungskapitel, in denen Herr Fuest das Besondere der Corona-Pandemie aus Sicht der volkswirtschaftlichen Forschung im Lichte früherer „Wirtschafts-Krisen“ deutlich macht. 

Es ist Aufgabe der Volkswirtschaftslehre und hier der Makroökonomie und Konjunkturpolitik die Auswirkungen von Krisen zu analysieren und konjunkturpolitische Empfehlungen für die Stabilisierung der Wirtschaft zu geben.

Das Besondere an der Corona-Krise ist nun aus dieser Makro-Sicht, dass ein Konjunktureinbruch auftritt, die entsprechende Antwort einer Ankurbelung der Konsumnachfrage aber nicht unbedingt funktioniert. Denn wir haben eine Pandemie. Die Menschen sollen wegen der Ansteckungsgefahr nicht in die Geschäfte gehen. Und eine Verlagerung des Konsums in den Online-Bereich schützt den Einzelhandel in der Nachbarschaft nicht.

Diesen Zusammenhang beschreibt Herr Fuest sehr ausführlich und gut verständlich. Auch zeigt er eindrucksvoll, wie die einzelnen Wirtschaftsbereiche miteinander verflochten sind und „alles mit allem“ zusammenhängt.

Thesen: Der Weg aus der Corona-Krise

Das letzte Kapitel des Buches bildet die Schlussfolgerungen aus den vorherigen thematischen Einzelkapiteln. 

Sein 2020 beschriebener Weg aus der Corona-Krise besteht aus den folgenden Punkten:

Fuest: 10 Wege aus der Corona-Krise


  1. 1
    Zuständigkeiten von Staat und Privatsektor klar abgrenzen
  2. 2
    Mit dem Coronavirus arbeiten und lernen leben
  3. 3
    Steuern- und Ausgabenpolitik auf Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit ausrichten
  4. 4
    Solidität der Staatsfinanzen nicht aufs Spiel setzen
  5. 5
    Digitalisierung: Die Beschäftigten in den Mittelpunkt stellen
  6. 6
    Bildung ist der Schlüssel zu Wohlstand und Chancengerechtigkeit
  7. 7
    Mit smarter Umwelt- und Klimapolitik Wirtschaftswachstum und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen vereinbaren
  8. 8
    Den Sozialstaat vor Überforderung schützen
  9. 9
    Globalisierung nicht aufgeben, sondern weiterentwickeln
  10. 10
    Europa: Öffentlich Güter bereitstellen und die Eurozone reformieren

Jedem dieser Punkte ist in dem Buch eine Seite gewidmet. D.h. die Schlussfolgerungen fallen entsprechend knapp aus. Was allerdings auch der Sinn eines Fazits ist.

Grundsätzlich fällt die Zustimmung zu seinem Fazit leicht. Allerdings fällt auf, dass die Mehrheit seiner Punkte nicht aus den Kapiteln stammt, die den meisten Raum in dem Buch nehmen. Dies ist schade. Es ist zwar folgerichtig, dass Konjunkturpakete, Inflation und die europäische Ebene eher Zustandsbeschreibungen sind, und hier keine langfristigen Lehren gezogen werden können. Aber zu den Themen Digitalisierung, sozialer Ungleichheit und Umweltpolitik, Globalisierung hätte man ausführlicher schreiben können, wenn auch hier Wege aus der Corona-Krise abgeleitet werden können. 

Insgesamt zeigt sich bei der Gewichtung der einzelnen Themen und den aufgezeigten „Wegen aus der Corona-Krise“, dass auch Sachbücher von bekannten deutschen Ökonomen immer etwas subjektiv sind. Sie spiegeln die grundsätzliche volkswirtschaftliche Denkrichtung des Autors wider. Der Autor vertritt eine angebotsseitige Wirtschaftspolitik. Die Wege aus der Krise sind eher so gefasst, dass sie auf eine langfristige Entwicklung hinzielen und die Aufgaben des Staates schlank gehalten werden sollen. In dem Sinne, dass Aufgaben zwischen Staat und Markt klar abgegrenzt sind und der Sozialstaat nicht überfordert wird.

Den Schlussfolgerungen ist per se zuzustimmen, allerdings sind sie halt auch etwas einseitig gehalten.  

Bewertung Wie wir unsere Wirtschaft retten

wie wir unsere wirtschaft retten

Insgesamt habe ich das Buch sehr gerne gelesen. Ich wurde in meiner Erwartungshaltung an ein Buch von „Deutschland einflussreichstem Ökonom“ laut FAZ auf dem Buchcover nicht enttäuscht.

Ich hatte bei den einzelnen Kapiteln unheimlich viele „aha-Erlebnisse“ und fühlte mich bei den ökonomischen Ausführungen oft an mein Studium erinnert (in einem guten Sinn!).

Insbesondere Studierenden, auch in den ersten Semestern, empfehle ich das Buch uneingeschränkt. Es belegt sehr eindrucksvoll, dass VWL kein abgehobenes Fach ist. Sondern das Gelernte aus den Grundlagenveranstaltungen dazu dient, aktuelle Wirtschaftssituationen zu erklären. Und im Optimalfall Instrumente zu empfehlen, um die (wirtschaftliche) Situation der Bevölkerung zu verbessern. Zudem zeigt sich durch die vielen thematischen Einzelkapitel die Bandbreite des Faches und der wirtschaftliche Gesamtzusammenhang. Etwas, was in den vielen spezialisierten Studiengängen leicht verloren geht. 

Aus diesem Grund würde ich dieses Buch auch Schülern empfehlen, die einen Eindruck von der Vielfalt der Wirtschaftsbeziehungen erhalten möchte. Und natürlich wie volkswirtschaftlich der „exogene Schock“ Corona, analysiert wird. Allerdings empfinde ich die ökonomischen Erklärungen als sehr komplex, auch wenn es anschaulich erklärt wird. Ohne Vorkenntnisse lohnt es sich zumindest, die entsprechenden Kapitel zweimal zu lesen und zwischendurch die entsprechenden Schlagworte über andere Literatur oder Internetquellen zu recherchieren.  

Für einen umfassenden Überblick über die wirtschaftlichen Folgen zu Corona würde ich zudem empfehlen noch ein zweites Buch zu lesen, dass eher die keynesianische Seite der VWL-Denkschulen abdeckt. Also eher nachfrageseitig und kurz- bis mittelfristig in der Politikgestaltung orientiert ist. 

Mein Eindruck zu einzelnen Aspekten des Buches:

Schreibstil

Das Buch liest sich leicht. Man kann den Ausführungen des Autors gut folgen. Die Argumente sind präzise und konkret formuliert. Die Sätze sind nicht verschachtelt oder unendlich lang, so dass man zum Schluss nicht mehr weiß, was eigentlich am Anfang geschrieben wurde.

Fremdworte kommen nur im notwendigen Ausmaß vor. Wie gesagt, es wird Wissen für entsprechende volkswirtschaftliche Grundbegriffe vorausgesetzt. Allerdings nicht, was über Zeitungswissen hinausgeht.

Anspruch

Ich zitiere den Text der Buchklappe: „Anschaulich und fundiert“

Das Buch bewegt sich kontinuierlich auf einem hohen ökonomischen Niveau. Damit meine ich, dass alle Aussagen ökonomisch fundiert sind. Es ist ein populärwissenschaftliches Buch für die Allgemeinheit, so dass die ökonomischen Zusammenhänge verbal erklärt werden. Auf mathematische Formeln wird gänzlich verzichtet. 

Struktur

Die Struktur des Buches folgt dem klassischen Aufbau eines ökonomischen Sachbuches: Es gibt eine Einleitung und ein Fazit. Das Fazit enthält knapp die Wege aus der Corona-Krise.

Der Hauptteil besteht aus thematisch weitgehend voneinander unabhängigen Kapiteln. 

Die Reihenfolge folgt einem vernünftigen „story telling“, wobei auch immer die nationale mit der europäischen bzw. internationalen Perspektive verwoben wird. Insbesondere am Anfang mit der Einordnung der Corona-Krise in die Historie von Wirtschaftskrisen. Der Schwerpunkt des Hauptteils liegt aber thematisch in deutschen Perspektiven. 

Es werden viele Grafiken mit Daten aus den offiziellen Quellen eingesetzt. Aus einer reinen „Design-Perspektive“ wäre es allerdings schön gewesen, wenn bei der Erstellung der Excel-Grafiken die Leser- bzw. Buchperspektive etwas stärker eingenommen worden wäre.

Zusatznutzen

Das Buch zeigt in seiner Gesamtheit, wie komplex das Wirtschaftsleben ist. Und wie eng Wirtschaft und Politik miteinander verwoben sind. Anhand des „Corona-Schocks“ illustriert das Buch vorwiegend am Anfang, wie das VWL bzw. Makro-Instrumentarium genutzt werden kann, um konjunkturpolitische Empfehlungen aus einer Zustandsanalyse abzuleiten. In diesem Sinne belegt das Buch, dass VWL kein trockenes Fach ist.

Darüber hinaus dürfte das Buch denjenigen Schülern, Studierenden etc. einen Zusatznutzen bringen, die sich aktuell und künftig in Referaten, Haus- und Abschlussarbeiten mit dem Thema beschäftigen sollen. Das Literaturverzeichnis ist sehr umfangreich und beinhaltet alle gängigen und auch kostenlos zugänglichen Studien (zum Zeitpunkt des Erscheinens). Allerdings ist hier zu beachten, dass die keynesianische Sicht nicht so stark vertreten ist.


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