Aktualisiert: 2. März 2023

Wie der deutsch-französische Motor die EU formt: Von Adenauer zu Merkozy

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Der deutsch-französische Motor ist seit Gründung der EKGS essentiell für den eruopäischen Integrationsprozess gewesen. Ob dieser Motor allerdings gut oder schlecht funktionierte, hatte vor allem damit zu tun, ob die Regierungschefs der beiden Staaten miteinander harmonierten.

Seit der Europa-Erklärung von Jean Monnet und Robert Schuman bilden Deutschland und Frankreich die treibenden Kräfte der europäischen Integration. Das Fundament legten hierfür Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, die eine vertiefte deutsch-französische Kooperation anstrebten.

Seitdem haben sich sogenannte deutsch-französische Tandems der Staatspräsidenten beider Länder herausgebildet. Bestes Beispiel hierfür ist der Ausdruck „Merkozy“, für das Tandem aus Angela Merkel und Nicolas Sarkozy. Sie erhielten diesen Namen von der Presse, weil sie im Zuge des europäischen Krisenmanagements während der Euro-Krise so gut wie immer gemeinsam auftraten.

Manche Tandems haben mehr erreicht als andere, was auf Faktoren wie persönliche Beziehungen oder sich wandelnde außenpolitische Gegebenheiten zurückzuführen ist.

Ein Überblick über die wichtigsten Erfolge der jeweiligen deutsch-französischen Tandems für die europäische Integration:

Konrad Adenauer (1949-1963) und Charles de Gaulle (1959-1959)

Die beiden Staatsmänner förderten die deutsch-französische Freundschaft. Sie begründeten damit die tiefe deutsch-französische Kooperation, die zum Motor der europäischen Integration wurde.

Die Fouchet-Pläne

Charles de Gaulle sah Anfang der 1960er Jahre die Notwendigkeit zu einer vertieften politischen Zusammenarbeit zwischen den damaligen europäischen Mitgliedstaaten. Die sogenannten Fouchet-Pläne sahen die Gründung einer europäischen politischen Union (EPU) vor. Wesentliche Kritikpunkte an diesem Entwurf waren die

- fehlende Supranationaliät

- eine mögliche Konkurrenz zur NATO

- das Außenvorlassen Großbritanniens

Trotz Nachbesserungen der Pläne scheiterten die Verhandlungen über die EPU.

Elysee-Vertrag

Dennoch konnte De Gaulle den damaligen Bundeskanzler Adenauer von der Notwendigkeit einer vertieften Zusammenarbeit überzeugen.

Das Ergebnis ist hier der deutsch-französische Freundschaftsvertrag, dem sogenannten Elysee-Vertrag. Der Vertrag wurde am 22. Januar 1963 von den beiden Staatschefs unterzeichnet.

Die hierdurch angestrebte vertiefte politische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich sollte so eine Vorreiterrolle spielen. Und so zum Motor der politischen Union Europas werden.

Ludwig Ehrhard (1963-1966) / Kurt Georg Kiesinger (1966-1969) und Charles de Gaulle (1958-1969)

Willy Brand (1969-1974) und Präsident Georges Pompidou (1969-1974)

Trotz des Freundschaftsvertrages lahmte der deutsch-französische Motor zwischen 1963 und 1974.

Denn Charles de Gaulle und Konrad Adenauer verband auch eine gute persönliche Beziehung. Weder Ludwig Erhard noch Kurt Georg Kiesinger konnten mit dem französischen Präsidenten warm werden. Generell wird die Beziehung eher als frostig beschrieben.

Ähnliches lässt sich für die Beziehung zwischen Willy Brand und Georges Pompidou behaupten.

Ein Grund hierfür liegt im wirtschaftlichen Erstarken der Deutschlands in dieser Zeit begründet. Ein wesentliches Merkmal des deutsch-französischen Motors unter Adenauer und De Gaulle war, das Frankreich die führende Rolle vertrat. Deutschland schloss sich den Initiativen Frankreichs an. Unter dem Tandem Schmidt und Giscard dEstaing wurde diese Arbeitsteilung dann auch wieder aufgenommen.

So aber führte das wirtschaftliche Erstarken Deutschlands auf französischer Seite zu Soge vor dem neuen deutschen Selbstbewusstsein. Was auch durch die neue Ostpolitik Willy Brandts gefördert wurde.

Auf europäischer Ebene förderten diese Probleme die langanhaltende Krise des leeren Stuhls, die die europäische Gemeinschaft lange handlungsunfähig machte.

Helmut Schmidt (1974-1982) und Valery Giscard dÉstaing (1974-1981)

Diese beiden Staatsmänner waren ein echter Motor der europäischen Integration. Obwohl die 1970er Jahre in den Lehrbüchern nicht als Jahrzehnt der europäischen Integration beschrieben werden, gab es innerhalb der Gemeinschaft Fortschritte.

Sie vertraten einen eher zwischenstaatlichen Ansatz zur Zusammenarbeit.

Dies resultierte in der Gründung des Rates der EU.

Erst als informelles Forum für die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten gedacht, wurde er später ein vertraglich etabliertes Organ im System der europäischen Institutionen.

Europäisches Währungssystem

Eine Gemeinsamkeit beider Staatsmänner war, dass sie beide vorher das Finanzministerium ihres Landes geleitet hatten. Sie verstanden sich somit als Finanzexperten. Das europäische Währungssystem von 1979 geht auf ihre Initiative zurück. Es war ihre Antwort auf den Zusammenbruch des Bretton Woods Systems.

Direktwahl EU-Parlament 1979

Unter ihrer Führung wurde die erste Direktwahl des Europäischen Parlamentes durchgeführt. Dies kann als Meilenstein im europäischen Integrationsprozess angesehen werden. Denn hierdurch wandelte sich das Projekt Europa von einem Projekt der Eliten zu einem Projekt der Bürger/Innen. Zudem wurde mit der Französin Simone zum ersten Mal eine Frau Präsidentin des europäischen Parlamentes gewählt.

Trotz dieser Fortschritte erreichte die europäische Integration Anfang der 1980er Jahre einen Stillstand. Unterschiedliche Interessen über den Haushalt der Gemeinschaft und die Finanzierung der Agrarpolitik und die Frage des Britenrabattes lähmten.

Helmut Kohl (1982-1998) und Francois Mitterand (1981-1995)

Wie ihre Vorgänger verband auch diese beiden Männer eine Freundschaft. Grundlage ist hierfür ein gemeinsames historisches Bewußtsein über die Verflechtung beider Länder. Sie sahen die enge Beziehung Deutshlands und Frankreichs immer als eine Art „Schicksalsgemeinschaft“an . Symbolisch kann hierfür der 22. September 1984 genannt werden. Hand in Hand standen die beiden Staatsmännder vor dem Beinhaus von Douaumont in der Nähe von Verdun und gedachten in der Zeremonie der Opfer der Kriege zwischen Deutschland und Frankreich.

Ratstreffen von Fontainableu

Auf diesem Ratstreffen nahm der deutsch-französische Motor wieder seine Arbeit auf. Fontainableu darf für den weiteren euruopäischen Integrationsprozess nicht zu wenig gewürigt werden. Was vor allem auf das wieder gute deutsch-französiche Verhältnis zurückzuführen ist.

Auf diesem Ratstreffen war es durch die gemeinsame Zusammenarbeit von Kohl und Mitterand möglich die lähmende Frage des Britenrabattes zu lösen.

Weiter wurde Jacques Delors als Präsident der europäischen Kommission festgelegt.

Diese „Triade“ zwischen Deutschland, Frankreich und dem Exekutiv-Organ der europäischen Institutionen ermöglichte die weiteren Fortschritte im Integrationsprozess:

  • die einheitliche Europäische Akte
  •  das Europa der Bürger
  • der Binnenmarkt und der Vertrag von Maastricht
  • die deutsche Wiedervereinigung
  • die Wirtschafts- und Währungsunion

Gerhard Schröder (1998-2005) und Jacques Chirac (1995-2007)

Das Gespann Schröder und Chirac harmonierte ebenfalls gut.

Die informellen Treffen zwischen den beiden Regierungschefs fanden nun häufiger statt. Und es kann als eine Freundschaftsgeste gewertet werden, als Gerhard Schröder als erster Bundeskanzler am 29. November 1999 vor der französischen Nationalversammlung sprach. 2003 führte Schröder zudem den „deutsch-französischen Tag“ ein. Eine Aufwertung und Würdigung des 22. Januars zur Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages.

Europapolitisch setzten sie die Projekte ihrer Amtsvorgänger fort.

Euro

Unter ihrer Amtszeit wurde schließlich der Euro eingeführt und damit die dritte Stufe der Wirtschaft- und Währungsunion umgesetzt.

Osterweiterung

Insbesondere durch die deutsche Unterstützung konnte auch die EU-Osterweiterung umgesetzt werden. Frankreich unterstützt hier seinen Partner.

Ebenfalls zeigt sich die Solidarität dieses Gespanns in der Außenpolitik. Europas neues Selbstbewusstsein war hier nur möglich, weil Chirac Schröder beisprang. Als der Bundeskanzler sich gegen den Irak-Krieg und die amerikanische Politik positionierte.

Das Verhältnis zwischen den beiden Staatsmännern war so gut, dass sich Gerhard Schröder im Oktober 2003 sogar von Chirac bei einer Sitzung im Europäischen Rat vertreten ließ.

Angela Merkel (seit 2005) und Nicolas Sarkozy (2007-2012)/Francois Hollande (seit 2012)

Die Zusammenarbeit von Angela Merkel und Nicolas zeichnet sich insbesondere durch ihr gemeinsames Vorgehen während der Eurokrise aus.

Um vor allem auch nach außen ein Zeichen der Geschlossenheit zu setzen traten die beiden so gut immer wie gemeinsam auf. Was ihnen in Brüssel den Spitznamen „Merkozy“ einbrachte.

Und auch die Wiederaufnahme der gescheiterten EU-Verfassung unter der deutschen Ratspräsidentschaft war nur durch die Abstimmung mit Frankreich möglich. Der Vertrag von Lissabon 2009 ist ein Resultat dieser guten Zusammenarbeit.

Seit 2012 agiert nun das Team Merkel und Francois Hollande. Auch bei ihrer Zusammenarbeit steht die Euro-Krise im Vordergrund.

Allerdings hat sich die Dynamik des Duos Deutschlands-Frankreich inzwischen deutlich zugunsten Deutschlands gewandelt. War früher im Deutschland der Junior-Partner gewesen der den französischen Initiativen folgte, so hat sich dieses Verhältnis inzwischen umgekehrt.

Über die Autorin: 

Nadine Behncke

Promovierte Volkswirtin und überzeugte Europäerin. Ihre Schwerpunkte sind die Entwicklung und Herausforderungen der EU mit ihren Auswirkungen und Folgen auf Deutschland und seine Bevölkerung. Sie schreibt auf Think About zu Politik, Wirtschaft & Geschichte in Europa, um Wissen zu vermehren und zur Diskussion beizutragen.


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