SPD-Vorsitzende bleiben seit Gerhard Schröder nicht lange im Amt. Seit Sigmar Gabriel und Martin Schulz ist dieser negative Trend gebrochen. Doch selten schied ein Vorsitzender freiwillig aus dem Amt. Ein Überblick.
SPD-Vorsitzende: Überblick
Die SPD hatte von 1946 bis 1987 nur drei Vorsitzende. Anschließend blieben die Parteivorsitzenden nur wenige Jahre im Amt. Vor allem in den „Nullerjahren“ gaben sich die Vorsitzenden die Klinke in die Hand. Von 2004 bis 2009 führten sechs SPD-Vorsitzende die Partei. Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Matthias Platzeck, Kurt Beck, kommissarisch für zwei Monate Frank-Walter Steinmeier und anschließend noch einmal Franz Müntefering. Dieser negative Trend beim Führungspersonal scheint eng verbunden zu sein mit dem Ende der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder und der Agenda 2010. Das Reformpaket für den Arbeitsmarkt spaltete die SPD und die Auswirkungen halten noch bis heute an.
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Wie sehr die Partei mit der Agenda hadert zeigt die Reaktion der Basis auf die Ankündigung des aktuellen Kanzlerkandidaten Martin Schulz sie nach einem Wahlsieg reformieren zu wollen.
Den Verschleiß der SDP-Parteivorsitzenden beendete schließlich Sigmar Gabriel. Nach Willy Brand weist er die längste Amtszeit als Parteivorsitzender auf. Am 20. März 2017 wählte die SPD ihren aktuellen Kanzlerkandidaten Martin Schulz auf einem außerordentlichen Parteitag zum neuen Parteivorsitzenden. Zum ersten Mal ist damit ein Europa-Politiker Vorsitzender einer Volkspartei geworden.
Kanzlerkandidat + Vorsitz = gute Wahlergebnisse?
Oft sind der Parteivorsitz und die Kandidatur als Kanzlerkandidat miteinander verknüpft. Dies ist aber nicht bei allen SPD-Parteivorsitzenden der Fall gewesen. Auch hier kann wieder zwischen der „Vor-Schröder und Nach-Schröder-Ära“ unterschieden. Von Kurt Schumacher bis Gerhard Schröder ist jeder SPD-Vorsitzender, mit Ausnahme von Björn Engholm auch mindestens einmal Kanzlerkandidat gewesen. Vor allem in der sogenannten Adenauer-Republik besaßen SPD-Vorsitzende einen starken Rückhalt in ihrer Partei und wurden öfter als Kanzlerkandidat aufgestellt, ohne die Wahl allerdings zu gewinnen. Dies gelang erst Willy Brandt infolge der ersten Großen Koalition, an der die SPD beteiligt war. Betrachtet man die SPD-Vorsitzenden und die Kanzlerkandidaten ist zudem bemerkenswert, dass von den bisher drei gestellten SPD-Kanzlern nur einer niemals den Parteivorsitz innehatte: Helmut Schmidt.
Seit langem vereint nun mit Martin Schmidt eine Person beide Posten wieder miteinander. Und mit dem Wahlergebnis von 100 % weist er von allen SPD-Parteivorsitzenden das beste Ergebnis bei seiner ersten Wahl auf.
Die Ergebnisse von Kurt Schumacher, Erich Ollenhauer, Willy Brandt und Sigmar Gabriel zeigen aber auch, dass SPD-Vorsitzende sich die Zustimmung ihrer Partei immer wieder erarbeiten müssen. Verringerte sich die Zustimmung der Partei zu Schumacher nur um wenige Prozentpunkte bei seinen Wiederwahlen, musste Willy Brandt Vertrauensverluste eingestehen. Und Sigmar Gabriel strafte die Partei 2015 gnadenlos ab, mit einem historisch schlechtem Wahlergebnis. Mit 74, 3 % lag er sogar knapp unter dem ersten Wahlergebnis von Gerhard Schröder als Parteivorsitzenden.
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Dies zeigt, dass die SPD auch „Zweck-Vorsitzende“ wählt und ihren Vorsitzenden zudem das Vertrauen entzieht, wenn sie den Vorschuss nicht einhalten.
Die SPD-Parteivorsitzenden im Überblick
1. Kurz Schumacher (1946-1952)
Kurt Schumacher verfügte über ein außerordentliches organisatorisches Geschick. Hierdurch stieg er nach Ende des Zweiten Weltkrieges sehr schnell zur Führungsfigur bei den Sozialdemokraten auf. Im Mai 1946 wählte ihn die SPD in den drei westlichen Besatzungszonen zum Parteivorsitzenden. Schumacher hatte sich zuvor heftig gegen die Zwangsvereinigung der KPD und SPD zur SED in der sowjetischen Besatzungszone ausgesprochen und diesen bekämpft. Denn er sah in den Kommunisten „rotlackierte Faschisten“. Schumacher war in der Weimarer Republik Reichstagsabgeordneter gewesen und saß während der NS-Diktatur lange Zeit im KZ. Der erste SPD-Vorsitzende der Nachkriegszeit starb bereits 1952, an den Spätfolgen dieser Haft.
2. Erich Ollenhauer (1952-1963)
Erich Ollenhauer stand mehr als elf Jahre den Sozialdemokraten als Parteivorsitzender vor. In seine Zeit fällt die programmatische und organisatorische Neuorientierung der SPD zwischen 1952 und 1963. Dieser Prozess endete 1959 mit dem „Godesberger Programm“. Es dokumentiert den Wandel der SPD von einer marxistischen Arbeiterpartei hin zu einer pragmatischen Volkspartei. Die Sozialdemokraten würdigten die Verdienste ihres zweiten Nachkriegsvorsitzenden, indem sie ihre Parteizentrale in Bonn zwischen 1975 und 1999 nach ihm benannten.
3. Willy Brandt (1964-1987)
Der bis heute als Übervater der SPD geltende Willy Brand war bereits vor seiner Wahl zum SPD-Vorsitzenden Kanzlerkandidat gewesen. Hier hatte er den Sozialdemokraten erhebliche Zugewinne beschert. Auch nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler 1974 blieb er noch dreizehn Jahre an der Spitze der Sozialdemokraten. 1987 trat der SPD-Vorsitzende nach heftiger parteiinterner Kritik vom Vorsitz zurück. Es hatte heftige Kritik an seinem Vorschlag gegeben, die Griechin Margarita Mathiopoulos zur Parteisprecherin zu machen. Nach Willy Brandt ist die SPD-Zentrale in Berlin benannt (mit Statue von ihm in der Zentrale).
4. Hans-Jochen Vogel (1987-1991)
Hans-Jochen Vogel war von 1987 bis 1991 Vorsitzender der SPD. Er bezeichnete sich selbst immer wieder als "Übergangs-Vorsitzenden". Zuvor war er bereits Kanzlerkandidat gewesen. 1990 trat er vom Posten des Parteivorsitzenden zurück bzw. stellte es zur Verfügung. Der ordnungsliebende Vogel war von den ständigen parteiinternen Flügelkämpfen aufgerieben. Außerdem wollte sein präferierter Nachfolger –der damalige Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine- nicht SPD-Chef werden.
5. Björn Engholm (1991 – 1993)
Björn Engholm war zu Beginn der neunziger Jahre die große Hoffnung der SPD. Bekanntheit erlangte er in der Bundesrepublik, als er 1988 nach der sogenannten Barschel-Affäre Ministerpräsident von Schleswig-Holstein wurde. Allerdings stolperte er fünf Jahre später ebenfalls über diese Affäre. Denn er musste zugeben, bereits früher von den Machenschaften Barschels gewusst zu haben als er im Untersuchungsausschuss vorher eingestanden hatte. Anschließend legte 1993 alle Ämter nieder, verließ die Politik. Den damit vakanten Parteivorsitz übernahm der spätere Bundespräsident Johannes Rau anschließend kommissarisch für knapp zwei Monate.
6. Rudolf Scharping (1993 – 1995)
Um den offenen Posten des SPD-Parteivorsitzenden gab es 1993 einen richtigen Wettbewerb: Rudolf Scharping setzte sich in einem Mitgliederentscheid gegen Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul durch.
Der Parteivorsitz von Rudolf Scharping stand allerdings unter keinem guten Stern: Eine unglücklich verlaufene Bundeskanzlerkandidatur und ein anschließend nicht stimmiger Fraktionsvorsitz in Bonn. Er trat später sowohl als Fraktionsvorsitzender als auch als Bundesverteidigungsminister zurück. Seit er von Oskar Lafontaine aus dem Amt des Parteivorsitzenden „geputscht“, hat er sich inzwischen aus der Politik zurückgezogen.
7. Oskar Lafontaine (1995 – 1997)
Der begnadete Redner Oskar Lafontaine hielt auf dem Mannheimer Parteitag eine so fulminante Rede, dass er spontan beschloss, ebenfalls, als Parteivorsitzender zu kandidieren. Lafontaine verkörperte das Gegenteil von dem stoischen Scharping und konnte die Delegierten von sich überzeugen. Sie wählten ihn statt Scharping zum Vorsitzenden. Nach diesem Putsch schmiedete der neue SPD-Vorsitzende ein Männerbündnis mit Gerhard Schröder. In dieser Kombination konnten die Sozialdemokraten 1998 das Bundeskanzleramt erobern. Allerdings kam es nach dem Wahlsieg zum Zerwürfnis zwischen den beiden. Lafontaine trat von einem Tag zum anderen von allen Ämtern zurück. Und trat später von der SPD zu den Linken über, um dort seine politische Karriere weiterzuführen.
8. Gerhard Schröder (1999-2003)
Der Niedersachse Schröder wollte zwar immer Bundeskanzler werden, aber eigentlich nie SPD-Vorsitzender. Das Verhältnis von Schröder und der SPD kann als Zweckbündnis bezeichnet werden. Und zwar auf beiden Seiten. Für Schröder war die SPD Mittel zum Zweck, um erst Ministerpräsident in Niedersachsen und später Bundeskanzler zu werden. Kanzlerkandidat konnte er anstelle von Lafontaine zudem nur deshalb werden, weil er seine Wiederwahl als Ministerpräsident als Volksabstimmung über seine Kanzlerkandidatur umgewandelt hatte. Nachdem Lafontaine plötzlich von allen Ämtern zurückgetreten war, musste Schröder als Kanzler den Parteivorsitz übernehmen. Die Partei brachte ihren Unmut darüber mit dem bislang schlechtesten Wahlergebnis (Erstwahl) ihres Vorsitzenden zum Ausdruck. Im Zuge der Diskussionen um die Agenda 2010 gab Schröder nach innerparteilichen Auseinandersetzungen den Parteivorsitz nach fünf Jahren an Franz Müntefering ab.
9. Franz Müntefering (2004-2005)
Franz Müntefering war Gerhard Schröders engster und wichtigster Mitstreiter in der SPD. Er arbeitete dem Kanzler in verschiedenen Funktionen zu. 2004 übernahm er dann nach dessen Rücktritt den Parteivorsitz von Schröder. Seine Amtszeit währte nur sehr kurz: Nachdem er seinen Vertrauten Kajo Wasserhövel nicht als Generalsekretär durchsetzen konnte, trat der SPD-Vorsitzende im November 2005 vom Vorsitz zurück.
10. Matthias Platzeck (2005-2006)
Nach dem Rücktritt Münteferings feierte die SPD Matthias Platzeck wie ihren Erlöser. Obwohl er sich nicht um das Amt des SPD-Vorsitzenden gerissen hatte, wählten sie mit einem der besten Ergebnisse der Nachkriegszeit zu ihrem neuen Vorsitzenden. Aber auch seine Ära währte nur kurz. 10 Monate später musste Platzeck aufgrund gesundheitlicher Probleme zurücktreten.
11. Kurt Beck (2006-2008)
Nach Platzeck galt Kurt Beck als letzte Rettung der SPD. Doch auch er konnte die Spirale der kurzen Vorsitze nicht beenden. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident verpasste es, sich eine Hausbasis in Berlin aufzubauen. Gerüchte und Streitereien waren die Folge. 2008 legte Beck deshalb den Vorsitz nieder.
12. Franz Müntefering (2008-2009)
Nach Becks plötzlichem Rücktritt verwaltete der momentane Bundespräsident Steinmeier wenige Wochen den Parteivorsitz wenige Wochen kommissarisch. Er übergab das Amt dann an Franz Müntefering. Aber auch beim zweiten Mal währte dessen Parteivorsitz nur kurz. Nachdem die SPD bei der Bundestagswahl 2013 nur 23 % erhalten hatte, übernahm er die Verantwortung und legte er das Amt des Parteivorsitzenden nieder. Er hatte sich nach der Wahl ebenfalls vollständig aus der Politik zurückgezogen.
13. Sigmar Gabriel (2009-2017)
Von 2009 bis 2017 lenkte und leitete Sigmar Gabriel als Parteivorsitzender die Sozialdemokraten. Damit hat er laut Fokus den negativen Trend bei den Parteivorsitzenden der SPD beendet und die Partei verfügte wieder über ein länger währendes Führungspersonal. Allerdings konnte der gute Redner die anfängliche Zustimmung der Partei nicht behalten. Bei seiner letzten Wiederwahl straften die Delegierten den polarisierenden und nicht auf den Mund gefallenen Gabriel mit einem historisch schlechten Ergebnis ab. Großen Respekt erhielt der SPD-Vorsitzende wieder, als er zuerst Martin Schulz als Kanzlerkandidat vorschlug und ihn ebenfalls das Amt des Parteivorsitzenden antrug.
14. Martin Schulz 2017
Martin Schulz wurde am 19. März 2017 bei einem Sonderparteitag in Berlin mit 100 Prozent der gültigen Stimmen zum Nachfolger von Sigmar Gabriel gewählt. Schulz erhielt damit das beste Wahlergebnis eines SPD-Chefs der Nachkriegszeit. Der neue SPD-Vorsitzende und bisherige EU-Politiker führt die Sozialdemokraten auch als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl 2017.