Aktualisiert: 28. Februar 2023

Britenrabatt: Wie Margaret Thatcher 111 Mrd beim EU-Haushalt spart

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Im Juni 2016 haben die Briten für den Austritt aus der EU gestimmt. Ein Grund waren hierfür die hohen Zahlungen an den EU-Haushalt. Allerdings ist Großbritannien auch das Land, das für seinen sogenannten „Britenrabatt“ bekannt ist. Am 25. Juni 1984 konnte Margaret Thatcher in Fontainebleau Vergünstigungen für ihr Land erreichen, die bis dato unbekannt waren.

Margaret Thatcher wurde im Mai 1979 zur Premierministerin gewählt. Sie behielt dieses Amt bis 1990 inne. Obgleich sich ihre erste Amtszeit hauptsächlich auf die Innenpolitik konzentrierte, war auch die Europapolitik ein gewichtiges Thema.

Denn der wirtschaftliche Aufschwung ließ trotz der Deregulierungen und wirtschaftspolitischen Programme noch auf sich warten. Eine Möglichkeit öffentlichkeitswirksam Einsparungen vorzunehmen lag hier in einer Evaluierung der Zahlungen an den EG-Haushalt (Vorgänger der heutigen EU).

Mit ihrer Forderung nach einem sogenannten „Britenrabatt“, der als Episode des „handbag-bangings“ beschrieben wird, ist Margaret Thatcher als ein sehr schwieriger Partner auf europäischer Ebene in die Geschichte eingegangen. „I want my money back“ wurde zum geflügelten Wort in diesen Verhandlungen.

Dennoch hatte sie mit ihrer Forderung nach einem „Britenrabatt“ Erfolg. Das drittgrößte Mitglied der heutigen EU hat als einziges Land einen –bis heute anhaltenden- Rabatt für seine Zahlungen zum EU-Haushalt erstritten.

Geschichte

Die Entstehungsgeschichte um den Brittenrabatt muss man unter verschiedenen Faktoren betrachten:

1. Der Beitritt Großbritanniens zur EG war noch nicht lange her als Margaret Thatcher das Amt der Premierministerin übernahm.

Das Vereinigte Königreich hatte erst am 5. Juni 1975 in einem Referendum über den Verbleib in der Europäischen Gemeinschaft abgestimmt.

Die sogenannte „Renegotiation Phase“ vor diesem Referendum endete auf dem Ratstreffen in Dublin am 10. März 1975. Ein wichtiger Verhandlungspunkt waren auch hier bereits die britischen Beiträge zum EU Budget gewesen.

2. Der Beitritt Großbritanniens zur EG in den 1970er Jahren erfolgte in einer Zeit in der das Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit sein Ende fand. Zudem kam es zu den beiden Ölkrisen, wodurch es in den westlichen Ländern zu verstärkter Arbeitslosigkeit und Inflation kam.

Vorrangiges Ziel der Regierung Thatcher war es daher 1979 die Wirtschaft wieder anzukurbeln und Einsparungen dort vorzunehmen, die nicht einem Kosten-Nutzen Kalkül entsprachen.

Damit nahmen die langjährigen Verhandlungen um den Britenrabatt ihren Anfang.

Im Anschluss an das Ratstreffen in Strasbourg am 21. Juni 1979 erklärte Mrs Thatcher hierzu ihre Auffassung:

Margaret Thatcher 21. Juni 1979

I made our dissatisfaction with the results of the present system very plain. The European Council called for action by the Commission to assess the facts about how the budget transfers are likely to affect each member State in 1979 and 1980 and whether and how the 1975 financial mechanism, intended to reduce our contribution, will work.

Quelle: http://www.margaretthatcher.org/document/104099

Verhandlungen

Die Vorschläge der EU-Kommission konnten sich in den Verhandlungen auf dem Ratstreffen in Dublin nicht durchsetzen.

Am 30. November 1979 kam es deswegen zum sogenannten „Budget Row“, worauf Margaret Thatchers „I want my money back“ zurückzuführen ist.

Insgesamt war berechnet worden, dass Großbritannien 1980 ungefähr 1000 Pfund an den Gemeinschafts-Haushalt zu zahlen hatte. Der Vorschlag der Kommission sah Änderungen vor, dass Einsparungen von einem Drittel bzw. 325 Mill Pfund vorsah.

Auf diesen Vorschlag ging Margaret Thatcher aus zwei Gründen nicht ein:

1) Der Rabatt war in ihren Augen zu niedrig

2) Der Vorschlag setzte nur auf der Beitragsseite an. Sie wollte neben geringern Zahlungen an den Gemeinschaftshaushalt auch höhere Rückflüsse nach Großbritannien durchsetzen.

Margaret Thatcher 30. April 1980

Mr. Lynch will have told you that the £350 million for which we could have settled is on the contributions side; it would put down our contributions to the budget. The other problem is that we do not get very much back.

Quelle: http://www.margaretthatcher.org/document/104180

Auch das Angebot, das auf dem Luxembourg Ratstreffen am 30. April 1980 vorgelegt wurde wollte sie anfangs nicht annehmen. Dieser Vorschlag sah einen Rabatt von 760 Millionen Pfund vor. Erst nachdem einige Minister intern ihren Rücktritt angedroht hatten, wurde der Vorschlag Ende Mai 1980 von Großbritannien angenommen.

Problematisch war an dieser Vereinbarung allerdings, dass der Rabatt jeweils nur für ein Jahr galt und damit immer wieder neu verhandelt werden musste.

Dieser immer wiederkehrende Streit führte in der Gemeinschaft zu erheblichen Spannungen und Stillstand. Denn neben dem Streit um den Britenrabatt wurde Anfang der 1980er Jahre die Agrarpolitik diskutiert.

Hier sollten Reformen durchgesetzt werden, um die Gemeinschaftsausgaben in diesem Politikbereich zu begrenzen. Margaret Thatcher übernahm hier im Prinzip die Strategie „des leeren Stuhls“ von Frankreich.

Da die Agrarpolitik als vitales Interesses der Mitgliedstaaten angesehen wurde, galt bei Abstimmungen Einstimmigkeit. Um ihre Position bei den Budgetverhandlungen zu verbessern, verbot Margaret Thatcher gelegentlich ihrem Agrarminister an den jeweiligen Ratstreffen teilzunehmen.

Auf dem Ratstreffen in Fontainableau am 25. Juni 1985 wurde der Streit um den Britenrabatt schließlich beigelegt:

Margaret Thatcher 25. Juni 1985

The system guarantees us a continuing 66%; refund of our VAT share expenditure gap. What is more, the system is based on the revenue side of the equation, as we have always insisted that it should be, so that it automatically reduces our contribution in the following year.

Quelle: http://www.margaretthatcher.org/document/105712

Die Abkehr vom Einstimmungsprinzip in der Agrarpolitik, die sich andeutende Süderweitertung der EU und die Aussicht auf die Vollendung des Binnenmarktes waren Gründe das es zu einem Kompromiss kommen konnte.

Waren die Gründe berechtigt?

Es werden drei Gründe genannt, weswegen die Einführung des Britenrabatts berechtigt war.

Sie liegen in der damals vorherrschenden Zusammensetzung des EU-Haushaltes auf der Einnahmen- und Ausgabenseite begründet. Gemeinsam mit der damaligen wirtschaftlichen Struktur Großbritanniens lässt sich der Britenrabatt zum damaligen Zeitpunkt durchaus rechtfertigen.

Großbritannien leistete nach seinem Beitritt überproportional hohe Zahlungen an den Haushalt der Gemeinschaft bei den traditionellen Eigenmitteln und der Mehrwertsteuer Relativ zu diesen überproportional hohen Einzahlungen erhielt es nur unterdurchschnittliche Leistungen aus der gemeinsamen Agrarpolitik:

Gründe Einnahmeseite:

1) traditionelle Eigenmittel (Zölle):

Im Gegensatz zu den übrigen Mitgliedern der Gemeinschaft führte die Briten ihre Importe überwiegend aus den Commonwealth-Staaten ein. So wurden britische Konsumenten aufgrund der gemeinsamen Außenhandelspolitik der Europäischen Gemeinschaft sehr stark mit Zöllen und Agrarabschöpfungen belegt.

2) Mehrwertsteuerbeitrag:

Die Briten haben innerhalb der Gemeinschaft eine besonders hohe Konsumneigung. Hierdurch fiel dieser Beitrag zum Gemeinschaftshaushalt für die Briten höher aus als bei den anderen Mitgliedern.

Grund Ausgabenseite:

Agragpolitik:

Großbritannien verfügt seit jeher nur über einen sehr kleinen Agrarsektor. Da zum damaligen Zeitpunkt der Großteil des Haushaltes in diesen Bereich floss, erhielt es auch nur geringe Rückzahlungen.

Insgesamt betrugen hierdurch die Nettozahlungen von Großbritannien ca. 1% des damaligen Bruttoinlandproduktes (bzw. die zitierten 1000 Mill Pfund).

Berechnung des Britenrabattes

Die Berechnung des Britenrabattes ist kompliziert. Vereinfacht ausgedrückt werden dem Vereinigten Königreich 66 % der Differenz zwischen seinen Beitragszahlungen und den Leistungen, die es aus dem EU-Haushalt erhält, zurückerstattet.

Die Korrektur des Beitrags zum EU-Haushalt von Großbritannien setzt sich aus drei Komponenten zusammen.

Die Kompliziertheit der Berechnung liegt im Detail. Durch Änderungen in den Einnahmen oder zusätzliche Zahlungen – etwa infolge der EU-Osterweiterungen- benötigt die Berechnung des Rabattes weitere Schritte. Die Grundlage besteht allerdings im ersten Schritt.

Die grundlegende Berechnung des Britenrabattes:

Hierfür benötigt man drei Faktoren:

Der erste Faktor –der Rabattfaktor von 0,66- ist als einziger konstant.

Der zweite Faktor besteht im Gesamtbetrag der aufteilbaren Ausgaben der EU. Hierbei handelt es sich um den EU-Haushalt des jeweiligen Jahres, der an die EU-Mitglieder verteilt werden kann. Der tatsächliche Betrag kann hiervon abweichen, wenn z.B. andere Ausgaben –wie die Erweiterungsausgaben- abgezogen werden.

Der dritte Faktor besteht in der Berechnung eines Koeffizienten, der den Anteil Großbritannien am EU-Haushalt darstellt. Und zwar als Differenz des Anteil an den Einnahmen und an den Ausgaben. Bei der Berechnung des Ausgabenanteils werden ebenfalls Sonderzahlungen bereits abgezogen (Ausgaben infolge der EU-Erweiterung).

Multipliziert man diese drei Faktoren miteinander erhält man den „ursprünglichen“ Korrekturbetrag.

Im Jahr 2014 betrug er um die 6, 457 Mrd. Euro.

Um den tatsächlichen Britenrabatt von 5,297 Mrd. Euro zu berechnen, müssen noch zwei Rechenschritte durchgeführt werden:

Schritt 2:

Von dem ursprünglichen Britenrabatt wird der sogenannte „VK-Vorteil“ abgezogen. Der VK-Vorteil bildet Vergünstigen ab, die sich durch Begrenzungen auf der Einnahmenseite des EU-Haushaltes bei der MwsT und den BNE-Mitteln ergeben.

Hier werden die Zahlungen ermittelt, die GB ohne diese Reformen auf der Einnahmenseite an die EU hätte leisten müssen.

2014 ergab sich hierdurch der „eigentliche Korrekturbetrag“ in Höhe von 5,280 Mrd. Euro.

Im letzten Schritt 3 werden noch unerwartete Gewinne bei den traditionellen Eigenmitteln (z.B. Zolleinnahmen) hinzugerechnet.

So ergibt sich schließlich der tatsächliche Britenrabatt in Höhe von 5,297 Mrd Euro für das Jahr 2014.

Übersicht Berechnung Britenrabatt 2014


Schritt 1: Berechnung Ursprünglicher Korrekturbetrag

1. Anteil von GB an der nicht begrenzten MwSt.-Bemessungsgrundage. Koeffizient: 16,2077

2. Anteil von GB am Gesamtbetrag der aufteilbaren Ausgaben

Koeffizient: 6.5970

Differenz: Rabatt-Koeffizient: 9,617

3. Gesamtbetrag der aufteilbaren Ausgaben (mit Abzügen): 101.791.839.409

4. Hierdurch Berechnung Ursprünglicher Korrekturbetrag (9,617*101.791.839.409): 6.456.693.911

Schritt 2: Berechnung Eigentlicher Korrekturbetrag:

Differenz von ursprünglicher Korrekturbetrag und VK-Vorteil: 5.280.117.664

Schritt 3: Berechnung Korrekturbetrag zugunsten GB:

Abzug von unerwarteten Gewinnen aus den traditionellen Eigenmitteln (17.223.040)

Britenrabatt 2014: 5.297.340.740

Bedeutung des Britenrabatts für GB und die anderen EU-Mitglieder

Der Britenrabatt ist aufgrund seiner Berechnungsweise erheblichen Schwankungen unterworfen. Dennoch können die Einsparungen im Zeitablauf als substanziell angesehen werden.

Einige Länder –u.a. Deutschland haben schon seit längerem einen „Rabatt vom Britenrabatt“ für sich durchgesetzt. Insbesondere im Fall von Deutschland hätte die vollständige Umsetzung des Britenrabattes für eine unanfechtbare Nettozahlerposition auf Platz 1 gesorgt.

So tragen nach dem aktuellen Modell vor allem Frankreich und Italien einen großen Anteil am Britenrabatt.

Es gab in den letzten Jahren immer wieder Versuche den Britenrabatt abzuschaffen.

Denn die ursprünglichen Bedingungen – die einen Rabatt rechtfertigen konnten- sind schon seit längerem nicht mehr gegeben:

1) Das Pro-Kopf-Einkommen in Großbritannien liegt weit über dem EU-Durchschnitt

2) Die Mehrwertsteuer als Einnahmequelle im EU-Haushalt hat ihre dominierende Stellung verloren. Und die britischen Importe aus dem Commonwealth haben sich verringert.

3) Die Agrarausgaben im EU-Haushalt haben relativ gesehen an Bedeutung verloren.

Dennoch ist Großbritannien (mit Rabatt) ein Nettozahler und leistet somit einen Beitrag zur Umverteilung in der EU. Da bei Budgetentscheidungen die Einstimmungsregel besteht, kann eine Änderung des Britenrabattes nur mit Zustimmung von Großbritannien erfolgen.

Fazit

Die Diskussion um den Britenrabatt zeigt zweierlei auf:

Erstens muss bei Abstimmungen so weit wie möglich das Mehrheitsrecht angewendet werden. Nur so können in einer großen und heterogenen EU Erpressungsversuche einzelner Staaten und damit Stillstand verhindert werden.

Denn gerade in der heutigen Zeit ist es notwendig, dass die EU nach außen mit einer Stimme spricht und zu schnellen Entscheidungen gelangt.

Zweitens darf nicht vergessen werden, dass der gemessen an der Wirtschaftskraft der Mitgliedstaaten der EU-Haushalt relativ gering ausfällt. Und ein Mitgliedsnutzen lässt sich nur bedingt anhand der Zahlposition im EU-Haushalt festmachen.

Rabatte sollten daher nicht wieder gewährt werden. Stattdessen sollte eher diskutiert werden, wie man die EU finanzieren möchte – wenn es nicht über die Mitgliedsbeiträge sein soll – und wofür die Mittel ausgegeben werden.

Über die Autorin: 

Nadine Behncke

Promovierte Volkswirtin und überzeugte Europäerin. Ihre Schwerpunkte sind die Entwicklung und Herausforderungen der EU mit ihren Auswirkungen und Folgen auf Deutschland und seine Bevölkerung. Sie schreibt auf Think About zu Politik, Wirtschaft & Geschichte in Europa, um Wissen zu vermehren und zur Diskussion beizutragen.


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