Aktualisiert: 2. März 2023

EU-Mitgliedstaaten: 6 Gruppen prägen die EU

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Die 28 Mitgliedstaaten prägen die EU durch ihre Eigenschaften. Um zu verstehen, wieso bestimmte Konflikte in der EU entstehen und warum sie oft nicht so schnell zu Einigungen gelangt macht es Sinn die Mitgliedstaaten näher zu beschreiben. Diese 6 Charakteristika beeinflussen, wie EU-Mitgliedstaaten die EU prägen.

EU-Mitgliedstaaten sind Nationalstaaten

Die Nationalstaaten sind die Bausteine des „Gebäudes“ Europäische Union. Ohne sie kann es die EU definitiv nicht geben. Entscheidet sich ein Nationalstaat der EU beizutreten, wird er ein Mitgliedstaat.

Als EU-Mitglied hat ein Land Rechte und Pflichten. Und vor allem kann es die gegenwärtige EU mitbestimmen und folglich auch gestalten.

In der öffentlichen Wahrnehmung wird bei der Diskussion um die Europäische Union momentan die Rolle der Mitgliedstaaten ausgeklammert.

Die Forderung nach einem „demokratischen Europa“, oder der Vorwurf, das „Die EU alles bestimmt...“ führen zu der Frage:

Wer ist die EU?

Eine offensichtliche Antwort sollte hierbei sein: Die EU-Mitgliedstaaten!

6 von ihnen haben die heutige Union gegründet, mit einem bestimmten Ziel bzw. einer Vision. Über die Jahrzehnte hat sich die EU erweitert, aber auch vertieft.

Diese Entwicklung erfolgte nicht durch „Brüssel“, sondern erfolgte durch Verhandlungen und Kompromisse bei den Zielen der jeweiligen Nationalstaaten.

Dass die Europäische Union nicht „die da oben in Brüssel“ ist, sondern zu einem großen Teil aus ihren Mitgliedstaaten besteht, zeigt bereits, welche Institutionen in der EU den größten Einfluss haben:

Der Ministerrat, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament. Während die Kommission das ausführende Organ im Gesetzgebungsprozess darstellt sind für die Legislative zuständig:

- Der Ministerrat

- Das Europäische Parlament

Der Ministerrat besteht aus den jeweiligen Ministern der Mitgliedstaaten. Und das Europäische Parlament wird direkt von der Bevölkerung der Mitgliedstaaten gewählt.

Dies zeigt bereits, dass die Mitgliedstaaten in der EU mitbestimmen.

Wieso es aber zu den langwierigen bzw. langsamen Entscheidungen in der EU kommt, liegt an den bestehenden unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten.

Diese 6 Faktoren können erklären, warum die EU-Mitgliedstaaten so unterschiedliche Interessen haben:

1. Beitrittsdatum der Mitgliedstaaten

Neue Mitgliedstaaten: Die EU-Erweiterungen

EU-Erweiterungen: Neue Mitgliedstaaten

Bis in die heutige Zeit hat ihr Beitrittsdatum einen großen Einfluss auf die Position, das Selbstverständnis und den Einfluss der Mitgliedstaaten.

Gegründet wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1957 von den 6 Staaten Belgien, Niederlande, Luxemburg, Deutschland, Frankreich und Italien.

Sie bilden den Anfang und den Kern der heutigen Europäischen Union.

Sie legten die Werte und Ziele fest und das sogenannte Gemeinschaftsrecht den acquis communitaire. Dieser muss von allen zukünftigen Mitgliedern bei ihrem Beitritt übernommen werden.

Erste Probleme hierbei zeigten sich bereits in der ersten Erweiterungsrunde. Großbritannien war nie ein Befürworter der Agrarpolitik und die Debatte um den Britenrabatt zeigen die sich hieraus ergebenden Probleme.

Nun entwickelt sich die EU zwischen den verschiedenen Erweiterungen aber weiter. Die Integration vertieft sich: Binnenmarkt, Schengen, gemeinsame Außenpolitik, Währungsunion etc.

Jedes Mitglied, das der EU beitritt muss den aktuellen acquis communitaire übernehmen.

D.h. je später ein Land ein Mitgliedstaat der EU wird, desto schwieriger wird es für ihn. Und vielleicht auch unattraktiver. Denn als Bewerber muss man die Werte und Regeln des „Clubs“ akzeptieren. Erst als Mitglied kann man sie beeinflussen.

2. Größe

Wie in jedem politischen System kann man auch bei der EU sagen: size matters!

Auf die Größe der Mitgliedstaaten wird immer dann eingegangen, wenn es um Verhandlungen und Abstimmungen geht.

Die Konflikte zwischen großen und kleinen Mitgliedstaaten traten vor allem beim Vertrag von Nizza und später beim Vertrag von Lissabon hervor.

Ein zentraler Punkt beim Nizzavertrag war die zukünftige Ausgestaltung der politischen Institutionen vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung.

Die politischen Abstimmungsprozesse sollten auch angesichts der gestiegenen Mitgliederanzahl mehr oder weniger schnell und effizient bleiben. Anders ausgedrückt: 1 Land sollte nicht mehr dazu in der Lage sein, die ganze EU über Jahre hinweg lahm zu legen. Andererseits sollten auch die Kosten für Personal und Infrastruktur begrenzt sein.

Die EU Mitgliedstaaten können nach ihrer Größe in vier Gruppen eingeteilt werden:

Die 28 EU-Mitgliedstaaten

Groß

Mittel

Klein

Sehr Klein

Deutschland (80)

Rumänien (21)

Schweden (9)

Zypern (0.8)

Frankreich (65)

Niederlande (17)

Österreich (8)

Luxemburg (0.5)

Großbritannien (62)

Griechenland (11)

Bulgarien (8)

Malta (0.4)

Italien (60)

Belgien (11)

Dänemark (5)


Spanien (46)

Portugal (11)

Finnland (5)


Polen (39)

Tschechische Republik (10)

Slowakei (5)



Ungarn (10)

Irland (4)




Kroatien (4)




Litauen (3)




Lettland (2)




Slowenien (2)




Estland (1)


Anmerkung: Zahlen in Klammern: ungefähre Bevölkerungszahl in Millionen

Bei der Gruppe der großen Mitglieder kann man noch einmal eine Grenze nach Großbritannien ziehen. Denn Deutschland, Frankreich und Großbritannien werden aufgrund ihrer Bevölkerungsanzahl auch als die „großen 3“ bezeichnet.

Es ist auch erkennbar, dass mit den verschiedenen Erweiterungsrunden überwiegend „kleine Länder“ beigetreten sind. Dies ist vor allem bei der EU-Osterweiterung der Fall gewesen.

Neben der Tatsache, dass größere Länder mehr Gewicht bei Abstimmungen haben. Haben sie auch mehr personelle und finanzielle Ressourcen für Diplomatie und ihre Interessensvertretung. Und können so gut ihre Interessen bei Verhandlungen vertreten.

Dagegen haben kleine Länder allerdings den Vorteil, dass ihre Interessen nicht so stark gestreut sind. Sie können alle ihre Ressourcen auf die Umsetzung einzelner Ziele einsetzen, wodurch auch sie einiges an Gewicht realisieren.

Insgesamt sind die Abstimmungssystem in der EU so ausgestaltet, dass sie relativ gesehen kleine Mitgliedstaaten gegenüber den großen Staaten begünstigen.

Von daher haben die kleinen Mitgliedstaaten ein sehr großes Interesse hier den Status Quo beizubehalten. Da die Gruppe der kleinen Staaten stetig gestiegen ist, können sie auch hierdurch zusätzlich an Einfluss gewinnen. Wenn sie Koalitionen bilden.

3. Wirtschaftskraft

Die ursprüngliche Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hatte eigentlich nur ein ernsthaft arme Region in ihrer Mitte: Der italienische Mezzogiorno.

Ansonsten waren die Wirtschaftskraft und das Entwicklungsniveau in den 6 Mitgliedstaaten recht ähnlich.

Kohäsion bzw. regionale Entwicklung standen daher nicht auf der Tagesordnung.

Dies änderte sich allerdings bereits mit der ersten Erweiterungsrunde.

Was oftmals übersehen wird: Großbritannien befand sich bei seinem Beitritt in einem Transformationsprozess seiner Wirtschaft. Die großen Industriezentren in Nordengland und Wales schrumpften. Einige Regionen in Schottland und Nordirland waren wirtschaftlich noch nicht sehr entwickelt.

Zum Zeitpunkt des Beitritts entsprach das Pro-Kopf-Einkommen der nordirischen Republik 62 % des Durchschnitts der Mitgliedstaaten.

Mit jeder Erweiterungsrunde verschärfte sich dieser Gegensatz zwischen „reichen“ Mitgliedstaaten und armen Staaten. Die Ausnahme bildete hier die EFTA-Erweiterung 1995.

Diese wachsenden Ungleichgewichte haben 3 Auswirkungen:

1) Die „Hackordnung“ zwischen den Mitgliedstaaten ändert sich.

Die Kohäsionspolitik bildet mit der Agrarpolitik den größten Bereich bei den EU-Ausgaben. Durch das immer weiter absinkende Durchschnitts-Einkommen sind einige Länder hier nicht mehr förderungswürdig.

Z.B. bekamen die ostdeutschen Bundesländer Mittel aus den europäischen Strukturfonds. Durch die geänderten Wohlstandsniveaus in der EU wird dies demnächst nicht mehr der Fall sein.

2) Das EU-Budget wird durch den Gegensatz von Nettozahlern und Nettoempfängern bestimmt.

Mit der Zunahme der „ärmeren“ Länder wird die Gruppe der Nettoempfänger steigen. Dies hat Auswirkungen auf die Höhe des EU-Budgets und wofür es ausgegeben wird.

3) Das Wohlstandsniveau beeinflusst die Einstellung von Mitgliedstaaten gegenüber Regulierungen, Sozialpolitik und Umweltpolitik.

Die reicheren Mitgliedstaaten haben hochentwickelte Regulierungssysteme und Standards im Bereich der Umweltpolitik.

Da diese Systeme mit Kosten verbunden sind, haben die ärmeren Mitglieder kein Interesse daran Standards auszubauen.

4. Staatssystem

Der politische Aufbau der Mitgliedstaaten hat einen großen Einfluss darauf, wie sie mit der EU arbeiten.

So haben etwa Deutschland, Österreich und Belgien einen föderalen Staat. Die übrigen Länder sind zentralistisch (wie z.B. Frankreich) oder semi-zentralistisch geprägt.

Das kompliziert erscheinende „Mehrebenensystem“ der EU ist damit auch in föderalen Ländern zu beobachten. So hat dies in Deutschland dazu geführt, dass nicht nur der Bund das Land in der EU repräsentiert.

Die Länder sind ebenfalls sehr stark in der EU involviert und konnten (gemeinsam mit ähnlich aufgebauten EU-Staaten) Einfluss in der EU gewinnen:

  • Bildung einer beratenden Institution: Ausschuss der Regionen
  • Vertrag von Maastricht: Vertreter der Bundesländer aus Deutschland und Österreich, der belgischen Regionen und Minister aus Schottland können bei den Sitzungen des Ministerrates anwesend sein, wenn ihre politische Ebene betroffen ist.

Durch diesen vertraglich und institutionell gewonnen Einfluss hat sich ebenfalls ihr direkter Einfluss erhöht. Auch wenn man unter dem „Brüsseler Lobbyismus“ oftmals Unternehmen und verbände versteht, gehören auch die Bundesländer und Region dazu.

Sie haben Büros und Repräsentanzen in Brüssel eröffnet und prägen über die dortigen Netzwerke die Entwicklung der EU mit.

5. Wirtschaftsordnung

Die Wirtschaftsordnung und auch die damit einhergehende Gestaltung des Sozialsystems haben Auswirkungen darauf, was für eine Politik Mitgliedstaaten in der EU verfolgen.

Und dies darf nicht unterschätzt werden. Denn es ist das Hauptziel der EU den gemeinsamen Binnenmarkt umzusetzen. An erster Stelle war und ist sie immer eine Wirtschaftsgemeinschaft.

Die aus einer unterschiedlichen Wirtschaftsordnung entstehenden Interessen können am ehesten an den Beispielen Deutschland-Frankreich-Großbritannien verdeutlicht werden.

Frankreich: zentralistisch, protektionistisch orientierte Marktwirtschaft

Deutschland: soziale Marktwirtschaft

Großbritannien: Angel-Sächsisches Modell: Liberalisierung und Deregulierung

Bei den Verhandlungen zum Vertrag von Rom traten die unterschiedlichen Wirtschaftsmodelle zwischen Frankreich und Deutschland zu Tage.

Während Deutschland ein großes Interesse an der Wirtschaftsgemeinschaft hatte, um seinen Handel zu fördern. War dies Frankreich nicht so wichtig. Sein Augenmerk lag mehr auf dem Schutz seines Landwirtschaftssektors. Aus diesem Grund ist die gemeinsame Agrarpolitik bereits im Vertrag von Rom festgeschrieben.

Denn ohne diesen wechselseitigen Ausgleich der nationalen Interessen hätte es keinen Kompromiss gegeben.

Die Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland verblassten aber nach dem Beitritt Großbritanniens. Das Land vertritt ein auf Liberalisierung und Deregulierung basierendes Wirtschaftsmodell.

Auch dies ist ein Grund, weswegen Großbritannien sich die Opt-Outs aus dem Vertrag von Maastricht vorbehalten hat. Andererseits führte dieses liberale Wirtschaftsmodell zu wesentlich zur Realisierung des Binnenmarktes Ende der 1980er Jahre.

Die Weiterentwicklung der EU –insbesondere in Wirtschaftsfragen- hängt daher wesentlich davon ab, welchem Wirtschaftssystem die Mehrzahl der Mitgliedstaaten anhängt.

6. Integrationspräferenz

Oft werden die EU-Mitgliedstaaten nach ihrer EU-Unterstützung gruppiert.

Das Eurobarometer fragt regelmäßig, ob die jeweilige Bevölkerung die EU-Mitgliedschaft als „gut“ einschätzt.

Hier sind im Zeitablauf bestimmte Muster bei der Unterstützung des EU-Projektes abzulesen.

So sind in der öffentlichen Wahrnehmung die folgenden Länder eher „schwierige Partner“:

  • Großbritannien
  • Dänemark
  • Polen
  • Die Tschechische Republik

Eine Kategorisierung in „schwieriger Partner“ oder „gutes EU-Mitglied“ ist allerdings zu einfach. Denn sie verdeckt die dahinterliegenden Faktoren:

1) Ob eine Bevölkerung „Pro-Europäisch“ ist, wird nicht durch ihre Nationalität bestimmt:

Eher spielen Faktoren, wie Bildung, Alter oder das persönliche Einkommen eine Rolle.

Nicht zuletzt die Analyse der Brexit-Abstimmung hat dies wieder bestätigt: Junge, gebildete und wohlhabende Teile der Bevölkerung wählten Europa.

2) Trennung zwischen Eliten und der „breiten Masse“:

Es kann immer wieder beobachtet werden, dass die Eliten eines Landes eher europäisch eingestellt sind. Was eventuell auch damit zu tun haben mag, das sie eher die wirtschaftlichen Vorteile direkt im Blick haben und für sie greifbar sind.

Für die „breite Masse“ sind diese Vorteile der EU-Mitgliedschaft teilweise schwierig zu erfassen. Bzw. treffen sie auch nur bestimmte Bevölkerungsschichten in einem größeren Maße. Wie etwa Studierende durch ihre Förderung im Erasmus-Programm.

Über die Autorin: 

Nadine Behncke

Promovierte Volkswirtin und überzeugte Europäerin. Ihre Schwerpunkte sind die Entwicklung und Herausforderungen der EU mit ihren Auswirkungen und Folgen auf Deutschland und seine Bevölkerung. Sie schreibt auf Think About zu Politik, Wirtschaft & Geschichte in Europa, um Wissen zu vermehren und zur Diskussion beizutragen.


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