Aktualisiert: 2. März 2023

Wie funktioniert der EURATOM Vertrag?

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Die Europäische Union besteht neben EURATOM aus einer Vielzahl von Verträgen. So scheint es zumindest. Vertrag von Rom, von Maastricht, von Lissabon... Schengen...

Um nur einige zu nennen. Oft verbindet man mit diesen Verträgen bestimmte Ereignisse, gute wie schlechte.

Insbesondere nationalkonservative Parteien in den europäischen Mitgliedstaaten fordern momentan pauschal die aktuellen EU-Verträge zu kündigen und das Rad der EU auf den Anfang zurückzudrehen und nur die Verträge zu behalten, die dem Vertrag von Rom zu Grunde liegen. Und auch hier ist man recht spezifisch: Man möchte nur den EWG-Vertrag behalten.

Warum eigentlich? Der EURATOM-Vertrag ist Bestandteil der Gründung der EU im Vertrag von Rom. Doch der Öffentlichkeit ist er relativ unbekannt. Dies sollte man ändern. Denn der EURATOM-Vertrag ist die zweite Hälfte des Vertrags von Rom.

Ziele des EURATOM-Vertrages

Vereinfacht formuliert kann behauptet werde, dass der EURATOM-Vertrag geschlossen wurde, weil den europäischen Ländern die Kohle ausging und sie nach einer neuen Energiequelle suchten.

Nach einer Quelle, die günstig war, denn Ölimporte waren zu dieser Zeit teuer. EURATOM sollte sozusagen die Folgeversion der EKGS werden. Wie die EKGS ging auch der Vorschlag für EURATOM auf die Initiative von Jean Monnet zurück.

Nachdem Anfang der 1950er Jahre mit der sektoralen Integration der damals wichtigsten Energiequellen – Kohle und Stahl – zum ersten Mal die nationale Aufsicht über einen bedeutenden Industriezweig auf eine supranationale Ebene gehoben wurde, sollte dieses Konzept nun widerholt werden. Angepasst an die neue Zeit: für die Kernenergie.

So sollte EURATOM in den sechs Gründungländern folgenden Zweck erfüllen:

  • Aufbau und die Entwicklung der Atomindustrie fördern
  • Förderung der Forschung auf diesem Gebiet und Verbreitung der Erkenntnisse

Bei dieser Forschung ging es allerdings nicht um Grundlagenforschung, sondern darum, wie der Bau von Kraftwerken beschleunigt oder verbessert werden kann:

  • Abfallmanagement und Kontrolle der Atomkraftwerke in den Mitgliedsstaaten.
    1. Einheitliche Sicherheitsnormen
    1. Gemeinsame Versorgungspolitik bei Spaltstoffen
    1. Gemeinsame Verwendungskontrolle
  • Eigentumsrecht der Gemeinschaft an spaltbarem Material

Auch wenn es in der heutigen Zeit bezweifelt werden, so steht noch heute in der Präambel des Vertrags:

„dass Kernenergie eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt darstellt.“

Mit dem allgemeinen Auftrag und den speziellen Zielsetzungen verband sich damals die Hoffnung, dass EURATOM zum Motor der wirtschaftlichen industriellen Integration werden würde.

Was nicht zuletzt deshalb nicht eintrat, weil sich die Atomenergie entgegen der damaligen Erwartungen nicht wirklich durchsetzen konnte. Aufgrund technologischer Entwicklungen, die zu geringeren Preisen führten, setzte sich Erdöl durch.

Der EURATOM-Vertrag ist der einzige Vertrag aus der Gründungszeit der 1950er Jahre, der heute noch nahezu unverändert läuft; mit denselben Zielen und nahezu derselben Funktionsweise.

Wieso hat EURATOM keine Bedeutung erlangt?

Zusammengefasst können hierfür zwei Punkte angeführt werden:

1. Die Atom-Energie konnte sich nicht durchsetzen.

2. Nationale Eigeninteressen dominierten in der Atom-Politik

Vor allem Punkt 2 ist hier von Bedeutung. EURATOM kam maßgeblich aufgrund der Interessen Frankreichs zustande. Dennoch entwickelte es im nationalen Alleingang seine Atomkraftwerke – ebenso wie die anderen Mitgliedstaaten.

Letztlich war EUROATOM weder in der Lage die nationalen Programme zu koordinieren noch gemeinsame Programme zu initiieren und durchzuführen. Denn die Mitgliedsstaaten wendeten höhere Finanzmittel für ihre nationalen Programme auf als sie EURATOM zur Verfügung stellten.

Zudem gab es bei der Finanzierung keine Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Es wurde peinlichst darauf geachtet, dass man genauso viele Mittel von EURATOM zurückerhielt, wie man an Finanzhilfen eingezahlt hatte.

Die Verdienste von EURATOM können dagegen bei der Versorgung mit Kernbrennstoffen und bei der Erforschung und Entwicklung von Sicherheitsstandards gefunden werden. In ihren Forschungszentren wird zu Strahlenschutz, Reaktorsicherheit und zur kontrollierten Kernfusion geforscht.

Zudem hat EURATOM mehrmals verbindliche Normen zum Strahlenschutz und zur Überwachung der Sicherheit von Kernkraftwerken und Atomanlagen entwickelt. Ihre Einhaltung wird zusammen mit der Atomenergiekommission der UNO kontrolliert.

EURATOM im Mehrebenensystem der EU

EURATOM ist bis heute ein weitgehend zwischenstaatliches Konstrukt. D.h. die Entscheidungen werden zwischen den Vertretern der Nationalstaaten getroffen. Und nicht durch (demokratisch legitimierte) EU-Institutionen.

Worin auch ein Grund liegt, dass EURATOM bis heute keine wirkliche Bedeutung erlangen konnte:

  • Die EU-Kommission kann zwar Vorschläge im Bereich der Atomenergie machen, die Entscheidung liegt aber allein bei den Mitgliedstaaten (Ministerrat)
  • Das EU-Parlament wird nur angehört

So haben die Mitgliedstaaten 2011 die beiden Richtlinien zum Umgang mit atomarem Abfall und zur Sicherheit von Atomkraftwerken quasi alleine beschlossen. Ohne Beachtung des „normalen“ EU-Gesetzgebungsprozesses mit Einbezug von EU-Kommission und EU-Parlament.

  • es sind in diesem Bereich KEINE Bürgerinitiativen möglich!

Eine wesentliche Neuerung des Vertrags von Lissabon ist es, dass Bürgerinitiativen möglich sind, um die politische Partizipation der Bürger/Innen zu verbessern. In dem Bereich der Atomenergie ist dies nicht möglich. Selbst wenn sich genügend Stimmen für eine Petition zur Abschaffung der Atomenergie finden würden.

EURATOM und EWG: 2 Seiten einer Medaille

Die Bedeutung von EURATOM für die EU liegt weniger in ihrem Erfolg (oder Misserfolg) als vielmehr darin, dass der Vertrag zeigt, wie die fortschreitende Integration der EU funktioniert.

Die Aussage, dass der Abschluss des Vertrags von Rom ohne EURATOM nicht zustande gekommen wäre, hat einen bedeutenden Wahrheitsgehalt.

Während Deutschland beim Vertrag von Rom vorrangig Interesse an der Gründung der EWG hatte, war Frankreich mit seiner protektionistisch orientierten Wirtschaftspolitik wenig an einem gemeinsamen Markt interessiert. Dagegen umso stärker an einer (grenzüberschreitenden) Kontrolle der Atompolitik.

Unter Moderation der Benelux-Staaten konnten diese sehr gegensätzlichen Interessen ausgeglichen werden. Sowohl Frankreich als auch Deutschland machten Konzessionen, so dass sowohl die EWG als auch EURATOM gegründet wurden.

Hierdurch kam es dann zum Vertrag von Rom, dem Ursprung der heutigen EU.

Zusammenfassung

Obgleich der EURATOM-Vertrag im Vergleich zur EWG relativ bedeutungslos im heutigen EU-System ist, hat er dennoch historisch herausragende Bedeutung.

Er illustriert, wie der Integrationsprozess der EU funktioniert: Durch Kompromisse!

Die Mitgliedstaaten haben ihre eigenen Interessen und durch Kombination verschiedener Maßnahmen und gegenseitige Zugeständnisse können sie diese Interessen realisieren.

Zudem zeigt EURATOM auch, welch unterschiedliche Entscheidungssysteme in der EU nebeneinander existieren. Während in der EWG und heutigen EU das vielbeschworene Demokratiedefizit eigentlich kaum noch existiert, ist dies bei EURATOM definitiv der Fall. In einem Industriebereich der –gerade in der heutigen Zeit- gemeinschaftlich unter Berücksichtigung der öffentlichen Meinung behandelt werden sollte.

Insofern kann man nur empfehlen, sich –trotz seiner geringen Bedeutung in der Politik- über seine Existenz und vor allem Entstehung Gedanken zu machen.

Über die Autorin: 

Nadine Behncke

Promovierte Volkswirtin und überzeugte Europäerin. Ihre Schwerpunkte sind die Entwicklung und Herausforderungen der EU mit ihren Auswirkungen und Folgen auf Deutschland und seine Bevölkerung. Sie schreibt auf Think About zu Politik, Wirtschaft & Geschichte in Europa, um Wissen zu vermehren und zur Diskussion beizutragen.


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