Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum ist ein wirtschaftspolitisches Ziel im magischen Viereck. In diesem Artikel geben wir euch eine Definition des Begriffes, zeigen die Bedeutung des Ziels auf, und inwieweit es messbar und politisch beeinflussbar ist.
Definition stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum
Bei der realen Zunahme des Bruttonationaleinkommens bzw. des Bruttoinlandsprodukts liegt Wirtschaftswachstum vor.
Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum: Kontinuierlicher Anstieg der wirtschaftlichen Wertschöpfung einer Volkswirtschaft.
Angemessenes Wachstum: Die Steigerung des allgemeinen Wohlstandes, der gerade für die weniger wohlhabenden Bevölkerungsgruppen von Bedeutung ist.
Stetiges Wachstum: Die Wirtschaft soll kontinuierlich wachsen. Durch die Vermeidung von starken Schwankungen sollen Auswirkungen auf die anderen Bereiche der Volkswirtschaft wie z.B. den Arbeitsmarkt vermieden werden.
Das Ziel hat sowohl eine kurzfristige als auch eine langfristige Komponente. Kurzfristig geht es um die Stabilisierung des Wachstumsprozesses, d.h. um die Vermeidung von Konjunkturschwankungen im Konjunkturzyklus.
Bei der Realisierung des Wachstumsziels geht es allerdings hauptsächlich um die langfristige Perspektive. Sie ist Forschungsgegenstand der Wachstumstheorie und Wachstumspolitik.
Wirtschaftspolitischer Hintergrund
Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum ist eines der vier wirtschaftspolitischen Ziele im magischen Viereck. Magisches Viereck ist die im Sprachgebrauch übliche Formulierung der Stabilisierungsziele im Stabilitätsgesetz von 1967.
„Die Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsgrad und außenwirtschaftlichen Gleichgewicht bei stetigem und angemessenen Wirtschaftswachstum beitragen.“ § 2 Satz2 StabG
Das Gesetz wurde als Antwort auf das einsetzende Ende Wirtschaftswunders verabschiedet. Erstmal flachte damals das Wirtschaftswachstum ab und die Arbeitslosigkeit stieg.
Man spricht vom magischen Viereck, da die abgebildeten Ziele teilweise komplementär oder im Widerspruch zueinanderstehen. Im Prinzip ist es unmöglich, alle vier Ziele gleichzeitig zu erfüllen.
So führt z.B. Wirtschaftswachstum zu einem höheren Beschäftigungsniveau. Ein höheres Beschäftigungsniveau aber zu Preisinstabilität.
Zielbegründung: Warum ist stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum wichtig?
Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum bedeutet ökonomisch eine Steigerung der Güterproduktion. Unter sonst gleichen Bedingungen geht damit eine bessere Versorgung der Gesellschaft einher. Dies interpretiert man insgesamt als eine Steigerung des materiellen Wohlstands der Gesellschaft.
Darüber hinaus gibt es noch die folgenden Gründe, warum Wirtschaftswachstum ein Ziel im magischen Viereck ist:
Steigerung materieller Wohlstand: Um dieses Ziel zu erreichen, ist Wirtschaftswachstum Voraussetzung. Es umfasst nicht nur eine absolute Steigerung des Wohlstands, sondern auch den Abbau und die Beseitigung materieller Armut.
Reduzierung der Arbeitslosigkeit: Oder auch ihre Vermeidung. Unabhängig von ihrer Umsetzung ist eine Marktwirtschaft von Wettbewerb gekennzeichnet. Dieser Wettbewerb fördert Produktivitätssteigerungen in den Unternehmen, um höhere Erlöse und letztlich Gewinne zu erzielen. Ein Anstieg der Arbeitsproduktivität führt allerdings bei gleichbleibendem Wirtschaftswachstum zu einem Rückgang der Beschäftigung. (Die Arbeitsproduktivität ist definiert als Verhältnis von Produktion zu Arbeitseinsatz.) Denn letztlich bedeutet ein konstantes Wachstum, dass auch die Produktion in den Unternehmen konstant bleibt.
Fiskalische Gründe: Wirtschaftswachstum bedeutet vereinfacht gesprochen höhere Steuereinnahmen für den Staat. Denn durch das Wachstum erhöht sich die Steuerbasis über steigende Konsumausgaben oder höhere Einkommen. Selbst, wenn die Steuertarife unverändert bleiben, bekommt der Staat so mehr Einnahmen. Diese zusätzlichen Einnahmen kann er für zusätzliche Ausgaben verwenden, die zu einer Steigerung der Lebensqualität führen. Etwa zusätzliche Investitionen in die Bereiche Bildung, Umweltschutz oder Gesundheit.
Internationaler Einfluss: Die „wirtschaftliche“ Größe eines Landes misst man über das BIP und das Wirtschaftswachstum. Je größer nun ein Land relativ zu den übrigen Ländern ist, desto mehr Einfluss es wirtschaftlich auf diese übrigen Länder nehmen. Z.B. über zusätzliche Zahlungen in der Entwicklungspolitik oder über Druck in Form von Handelssanktionen. Außerdem bemisst sich der Stimmanteil eines Landes in einigen internationalen Organisationen an seinem BIP.
Exkurs: Vorteile und Nachteile von Wirtschaftswachstum
Die angeführten Begründungen verdeutlichen, dass beim Wirtschaftswachstum nicht gilt „je mehr, desto besser“. Stattdessen geht es darum, ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum zu realisieren. Das bedeutet, es ist langfristig realisierbar, ohne dass es zu gesamtwirtschaftlichen Verwerfungen kommt.
Dennoch gibt es beim Wirtschaftswachstum zahlreiche Diskussionen darum, ob und wie viel eine Gesellschaft benötigt. Und inwieweit es mit anderen Zielsetzungen vereinbar ist. Es stellt sich hier die gesellschaftliche Frage nach den Vorteilen und Nachteilen des Wirtschaftswachstums.
Im Folgenden umreißen wir kurz drei häufig angesprochene Vor- und Nachteile, wobei die Vorteile bereits in oben beschriebenen Begründungen enthalten sind:
Vorteile Wirtschaftswachstum
- Wachstum erhöht den Lebensstandard gemessen als BIP pro Kopf (Annahme: Bevölkerung bleibt konstant)
- Wachstum sichert Beschäftigung (siehe Arbeitsproduktivität)
- Wachstum bedeutet mehr Steuereinnahmen für Umverteilung und Sozialpolitik
Nachteile Wirtschaftswachstum
- Wachstum vernichtet natürliche Ressourcen (z.B. Erdöl)
- Wachstum schädigt die Umwelt
- Wachstum bedeutet auf Kosten der nachfolgenden Generation zu leben
- Wachstum macht nicht glücklich (Stichwort: Glücksforschung)
Bei den Argumenten gegen das Wirtschaftswachstum geht es damit nahezu um den Umgang mit begrenzten Ressourcen und den damit einhergehenden Folgen. Also um den Zielkonflikt Wachstum und Umwelt. Bereits seit dem Club-of-Rome-Bericht diskutiert man darüber. Doch gerade aktuell ist diese Problematik unter dem Stichwort „Folgen des Klimawandels“ Gegenstand der öffentlichen Diskussion. Und dürfte wahrscheinlich zu Folgen in der Wirtschaftspolitik führen.
Determinanten des Wirtschaftswachstums
Wirtschaftswachstum beruht auf verschiedensten Faktoren. In der Volkswirtschaftslehre werden die Messung und Analyse von Wirtschaftswachstum als Ergebnis eines Produktionsprozesses durchgeführt. Das BIP ist der Output des Produktionsprozesses. Höhe und letztlich das Wachstum beruhen auf den eingesetzten Produktionsfaktoren und der Effizienz des Prozesses. Allgemein verwendet man hierfür eine Cobb-Douglas-Produktionsfunktion.
Die Abbildung stellt die hieraus folgenden Determinanten des Wirtschaftswachstums dar. Das Wachstum resultiert damit aus drei Quellen:
- Höhere Einsatzmengen der Produktionsfaktoren
- Technischer Fortschritt
- Arbeitsteilung
Die Einsatzmenge der Produktionsfaktoren kann aber nicht unbegrenzt erhöht werden. So lässt sich z.B. der Faktor Arbeit bei bestehender Vollbeschäftigung nur durch eine Erhöhung der Bevölkerung erzielen. (Stichwort Fachkräftemangel und Migration z.B. in der Pflege).
Mehr Spielraum besteht dagegen bei der Erhöhung des Kapitalbestandes.
Nationale und internationale Arbeitsteilung können zu einem höheren Wirtschaftswachstum durch Spezialisierung beitragen. Allerdings sind hier die möglichen Auswirkungen auf die Beschäftigung zu beachten. Wie etwa die Diskussion um Outsourcing und die These der Basarökonomie im letzten Jahrzehnt zeigen.
Technologischer Fortschritt bietet zahlreiche Möglichkeiten das Wirtschaftswachstum positiv zu beeinflussen. Eine bessere Faktorqualität oder bessere Faktorkombinationen können den Fortschritt beschleunigen.
Eine bessere Faktorqualität kann vor allem durch eine höhere Ausbildung und Weiterbildung der Beschäftigten erzielt werden (Stichwort Humankapital). Aber auch der oft unerwähnte Faktor Boden kann sich qualitativ stark erhöhen. In einer regenreichen Periode kann er beispielsweise in der Landwirtschaft zu einem hohen Wirtschaftswachstum führen (bessere Ernte). Unter einer besseren Faktorkombination versteht man (positiv) veränderte Organisationsabläufe, die zu Effizienzgewinnen führen.
Messung: Indikatoren für Wirtschaftswachstum
Hier stellen wir einführend die wichtigsten Zielindikatoren für das Wirtschaftswachstum vor. Auch wenn die Wachstumsrate des realen BIP der Hauptindikator ist, lohnt sich eine Betrachtung verschiedener Indikatoren. Denn so erhält man ein umfassendes Bild. Dies liegt einerseits an der Begrenztheit der Aussagekraft aufgrund der ökonomischen Modelle. Und andererseits an Grenzen in der statistischen Messung und Prognose der Indikatoren und ihrer zugrundeliegenden Determinanten.
Wachstumsrate des realen BIP
Das BIP umfasst alle in einer Volkswirtschaft in einem Jahr produzierten Güter und Dienstleistungen.
Das BIP ist damit eine Hilfsgröße für die Erfassung der Leistungserstellung einer Volkswirtschaft. Kritik an der Berechnung und Aussagekraft des BIP treffen damit auch auf seine Aussagekraft als Wachstumsindikator zu.
Als Indikator für das Wirtschaftswachstum wird die jährliche Veränderungsrate des realen BIP verwendet. Das reale BIP ist, das um die Inflation bereinigte nominale BIP.
Man erhält nur dann Aussagen über das tatsächliche Wachstum, wenn man die Preiskomponente ausschaltet. Denn ansonsten wüsste man nicht, ob das Wachstum durch einen Anstieg der Preise oder durch eine höhere Menge der produzierten Güter entstanden ist.
Entwicklung Produktionspotenzial
Die Entwicklung des Produktionspotenzials wird neben der realen BIP-Wachstumsrate als Indikator verwendet. Der Begriff wird allerdings unterschiedlich definiert, was den möglichen Auslastungsgrad der Produktionsfaktoren im Produktionsprozess geht. Manchmal versteht man die maximale Auslastung darunter und manchmal eine „normale“ Auslastung. Die Normalauslastung ist in der Praxis allerdings gegenwärtig die vorherrschende Definition.
Produktionspotenzial: Das reale BIP, das bei normaler Auslastung der Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital, Humankapital, Technologie) entsteht.
Die Bedeutung des Produktionspotenzials als Wachstumsindikator besteht darin, dass man hiermit den Trend des realen BIP entwickeln kann. Statistisch wird versucht, das BIP-Wachstum, um konjunkturelle Schwankungen zu bereinigen. Grundlage für die Berechnungen ist eine Produktionsfunktion.
Materieller Wohlstand
Einkommensgrößen
Die zentrale Begründung für das Ziel des stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstums besteht in der Erhöhung des materiellen Wohlstands einer Gesellschaft. Aus dem realen BIP-Wachstum kann allerdings nicht unbedingt darauf geschlossen werden, wie sich das reale Einkommen entwickelt.
Man verwendet deshalb als zusätzliche Indikatoren Einkommensgrößen aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.
Pro-Kopf-Wachstum
Für das angestrebte Wachstumsziel sind demografische Faktoren zu berücksichtigen. Hierzu zählen die Berücksichtigung des Bevölkerungswachstums und der Arbeitskräfte.
Eine Änderung dieser Faktoren hat gravierende Folgen für Interpretation des Wirtschaftswachstums. Insofern sollen nicht nur absolute Werte als Zielerreichungsindikatoren verwendet werden, sondern auch relative Werte. Hierzu zählen u. a. das BIP pro Kopf und das BIP pro Arbeitseinheit.
Fazit: Wie kann die Politik das Wachstumsziel beeinflussen?
Auf Basis der bisherigen Darstellungen konnte gezeigt werden, dass angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum von der Entwicklung vieler Einflussfaktoren abhängig ist. Auch wenn es verschiedene Indikatoren gibt, ist zentraler Faktor für das Wirtschaftswachstum immer noch die Wachstumsrate für das reale BIP.
Die Entwicklung der genannten Determinanten erlaubt Prognosen darüber, wie hoch ein angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum ausfallen kann (d. h. BIP-Wachstumsrate). In Deutschland sind dies vor allem der Sachverständigenrat für die wirtschaftliche Entwicklung und die großen Wirtschaftsforschungsinstitute, die im Rahmen von Konjunkturprognosen die Entwicklung des Wirtschaftswachstums vorausschätzen (mehr Informationen findet ihr in unserer Erklärung zur Konjunkturprognose). International vergleichende Daten gibt es z. B. von Eurostat, der OECD, dem IWF und anderen Einrichtungen.
Erfahrungswerte zeigen, dass der folgende Wachstumskorridor in Deutschland erreichbar wäre:
Ziel stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum: In Deutschland ist eine Wachstumsrate des realen BIP von 1 bis 1,5 % pro Jahr erreichbar. Hierbei handelt es sich um langfristig erreichbare Wachstumsraten auf Basis theoretisch fundierter Schätzungen.
Wie kann nun die Politik diesen möglichen Korridor positiv beeinflussen?
Dies ist über die politische Beeinflussung der zahlreichen Determinanten des Wirtschaftswachstums möglich:
- Arbeitsmarkt variablen (z.B. Partizipationsraten, durchschnittliche Arbeitszeit, Auslastung des Arbeitskräftepotenzials, das Qualifikationsniveau...)
- Förderung technologischer Fortschritt (z.B. F&E-Output, Diffusionsgeschwindigkeit von Innovationen)
- Investitionen (vgl. Einfluss Sparquote)
- Bevölkerungsentwicklung
All diese Maßnahmen zielen darauf ab, die Auslastung der Produktionsfaktoren zu erhöhen, und hierüber ein höheres Wachstum zu ermöglichen. Schätzungen zufolge ist so für einige Zeit ceteris paribus eine Wachstumsrate bis zu 2 % möglich.
Allerdings ist bei der Umsetzung der Maßnahmen immer zu beachten, inwieweit die einzelnen Instrumente und ihre Umsetzung gesellschaftlich erwünscht sind. Denn hier spielen verschiedenste andere Bereiche eine Rolle, wie demografische oder arbeitsmarktpolitische Entwicklungen. Und nicht zuletzt der viel diskutierte Zielkonflikt zwischen Umwelt- bzw. Klimaschutz und Wirtschaftswachstum.