Die Frage nach der Existenzberechtigung der Wirtschaftspolitik zielt auf ihre Aufgaben ab. Um sie zu beantworten muss man zuerst klären, was sie überhaupt ist.
Definition: Was ist Wirtschaftspolitik?
Wirtschaftspolitik sind alle zielgerichteten politischen Maßnahmen, mit denen legitimierte Instanzen Wirtschaftsprozesse ordnen, beeinflussen oder unmittelbar in wirtschaftliche Abläufe eingreifen. Eine solche Instanz oder Träger der Wirtschaftspolitik sind Staatsorgane oder sind vom Staat mit dieser Aufgabe betraut.
Man unterscheidet zwischen der theoretischen und der praktischen Wirtschaftspolitik:
Theoretische Wirtschaftspolitik
Ihre Aufgabe besteht darin, auf der Grundlage von ökonomischen Erkenntnissen geeignete Maßnahmen vorzuschlagen und Instrumente zu entwickeln, die der praktischen Wirtschaftspolitik bei der Erreichung der Ziele helfen. Das bedeutet, dass sie für die Beschreibung und Analyse der wirtschaftlichen Lage verantwortlich ist.
Praktische Wirtschaftspolitik
Sie setzt die Erkenntnisse der theoretischen Wirtschaftspolitik um. Das heißt, sie beschäftigt sich ganz konkret mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen und institutionellen Voraussetzungen. Damit basiert sie auf dem Vergleich der gegebenen wirtschaftlichen Lage und den angestrebten Zielen. Die praktische Wirtschaftspolitik steht in einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen den theoretischen Einsichten und der politischen Machbarkeit.
3 Arten der Wirtschaftspolitik
Grundsätzlich wird die Wirtschaftspolitik in die sogenannte Ordnungspolitik, Strukturpolitik und Prozesspolitik eingeteilt. Während die Ordnungspolitik auf die Rahmenbedingungen der Wirtschaft achtet, hat die Strukturpolitik Eingriffe in die regionale und sektorale Wirtschaft zum Gegenstand. Die Prozesspolitik weist direkte Eingriffe des Staates in den Wirtschaftskreislauf auf.
Ordnungspolitik („Was soll der Staat tun“)
In Deutschland basiert das Wirtschaftssystem auf dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft. Die Ordnungspolitik legt den Rahmen dafür fest, dass dieses Leitbild auch praktisch realisiert wird. Daher sind die Aufgaben der Ordnungspolitik u.a. die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs, die Schaffung stabiler Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und die Garantie der Eigentumsordnung und Freiheitsrechte.
Prozesspolitik
Sie greift steuernd in wirtschaftliche Abläufe ein, um bestimmte Ziele zu erreichen. Unter der Prozesspolitik versteht man in erster Linie eine kurzfristige Konjunkturpolitik. Hauptziel der Prozesspolitik ist die Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage.
Strukturpolitik
Diese Politik ist regional ausgerichtet und zielt darauf ab, einzelne Wirtschaftszweige zu erhalten, zukunftsträchtige Wirtschaftszweige zu fördern oder Anpassungen an den Strukturwandel zu erleichtern. Hierfür verwendet sie als Instrumente z. B. Investitionsförderungen, Subventionen oder Steuervergünstigungen.
Existenzberechtigung der Wirtschaftspolitik: Marktversagen
Aus der Definition der Wirtschaftspolitik und ihren Aufgaben wird bereits deutlich, warum es sie eigentlich gibt:
Unter bestimmten Umständen funktioniert der Markt nicht mehr. In der Volkswirtschaftslehre spricht man in diesem Fall von Marktversagen. Liegt dieser Fall vor, darf und muss der Staat in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen und diesen Fall auflösen.
„Wirtschaftspolitik als Korrektiv des Marktes bei Marktversagen“
Aufgaben der Wirtschaftspolitik
- Schaffung der Rahmenbedingungen
- Internalisierung externen Effekte
- Bereitstellung öffentlicher Güter Aufrechterhaltung des Wettbewerbs
- Erzielung eines sozial akzeptierten Verteilungsziels
- Stabilitäts- und Wachstumspolitik
Das Zielsystem der Wirtschaftspolitik
Das oberste Ziel des Wirtschaftssystems in der Bundesrepublik Deutschland ist die Maximierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt. Hierzu gehören Werte, wie Freiheit, Fortschritt, Sicherheit und Gerechtigkeit.
Hierfür ist die Maximierung der ökonomischen Wohlfahrt die Voraussetzung. Und hier setzt die Wirtschaftspolitik an: Das Zielsystem geht damit über das sogenannte magische Viereck hinaus. Und entspricht eher dem magischen Sechseck, da auch Verteilungsfragen berücksichtigt werden.
Die Wirtschaftspolitik unterstützt die Maximierung der ökonomischen Wohlfahrt, indem vier Ziele verwirklicht werden sollen:
1. Allokationsziele: Der Staat greift in die Verteilung der Ressourcen ein, um sie alternativ zu verwenden (Allokation). Dies macht er, wenn die marktmäßigen Ergebnisse zu unerwünschten Ergebnissen führen. Hierunter fällt z.B. die Vermeidung von Marktmacht oder Verhinderung von Umweltbelastungen.
2. Distributionsziele: Der Staat korrigiert die marktmäßige Einkommensverteilung. Ein Beispiel ist hierfür die Einführung der progressiven Einkommenssteuer oder das deutsche Sozialversicherungssystem mit der Renten- und Krankenversicherung. Außerdem leistet er zur Erreichung dieses Zieles Transferleistungen an klar definierte Gruppen, wie etwa Arbeitslose oder Studierende.
3. Stabilisierungsziele: Ziel ist es, gesamtwirtschaftliche Konjunktur- und Wachstumsschwankungen zu glätten und ein stabiles Preisniveau zu erhalten. Die Stabilisierungs- oder Konjunkturziele bilden die Grundlage des magischen Vierecks. Und sind am stärksten in der Bevölkerung bekannt und werden mit der Wirtschaftspolitik assoziiert.
4. Strukturziele: Der Staat kann z.B. die Angleichung der regionalen Lohnwerte oder die Bereitstellung einer kostengünstigen und sicheren Energieversorgung anstreben. Ein Beispiel hierfür bildet die Einführung des Solidarzuschlags infolge der deutschen Wiedervereinigung und das Bemühen, die Lebensverhältnisse zwischen West und Ost anzugleichen.
Wirtschaftspolitische Richtungen
In der Wirtschaftspolitik unterscheidet man zwischen zwei Richtungen. Der Angebots- und Nachfragepolitik. Sie unterscheiden sich in ihrer Wirkungsfrist und bauen auf zwei verschiedenen volkswirtschaftlichen Theorien auf.
1. Angebotspolitik
Auch als Ordnungspolitik bezeichnet, stellt sie die Renditeerwartungen der Kapitalgeber in den Mittelpunkt. Damit setzt sie auf der Angebotsseite des Marktes an. Neben dem Faktor Arbeit ist Kapital der zweite wichtige Faktor, den eine Volkswirtschaft zum Funktionieren benötigt. Die Instrumente der Angebotspolitik beziehen sich überwiegend auf die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Zudem ist sie langfristig orientiert und baut auf den Annahmen der Neoklassik auf.
Schwächen der Angebotspolitik
Es kann nicht genau vorhergesagt werden, wie das Angebot der Volkswirtschaft, hier die Unternehmen auf bestimmte Maßnahmen reagiert. In erster Linie sollen mit der Angebotspolitik Beschäftigung und Produktion erhöht werden. Deshalb fördert sie Unternehmen z.B. über Steuersenkungen, damit sie dementsprechend reagieren. Allerdings handelt es sich hierbei nur um Anreize. Es bedeutet nicht automatisch, dass Unternehmen z.B. Einsparungen dazu verwenden neue Arbeitskräfte einzustellen, sondern anders handeln.
Weiter bringt eine Kostensenkung für die Unternehmen seitens des Staates nicht unbedingt eine höhere Produktion. Denn hierfür muss auch eine Nachfrage vorhanden sein. Und nicht jedes Unternehmen ist auf den internationalen Märkten tätig.
2. Nachfragepolitik
Die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik beschäftigt sich mit der Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Auch als Konjunkturpolitik bezeichnet ist sie eher kurzfristig orientiert. Als Instrumente verwendet sie die antizyklische Fiskalpolitik und Geldpolitik. Eine antizyklische Fiskalpolitik bedeutet, dass z. B. Ausgabenerhöhungen bei schwacher privatwirtschaftlicher Nachfrage bzw. Ausgabensenkung durchgeführt werden. Die Nachfragepolitik basiert auf den Annahmen des Keynesianismus und wird vor allem seit den 60er Jahren angewendet.
Schwächen der Nachfragepolitik:
Ökonomische Maßnahmen treten erst nach einer gewissen Zeit in Kraft, wobei die Fiskalpolitik länger benötigt als die Geldpolitik von dem Zeitpunkt an, an dem der Staat z. B. durch Investitionsförderungen die Nachfrage erhöhen möchte und Projekte für die Unternehmen ausschreibt, bis zu dem Punkt, wo diese durch den Gewinn mehr Mitarbeiter einstellen, gibt es eine gewisse Verzögerung. Dadurch kann der Staat auch nie die Folgen exakt abschätzen, weil eine unbekannte Zeitspanne zwischen Ursache und Wirkung der Wirtschaftspolitik liegt.
Zudem kann durch die Verzögerung die antizyklische Wirtschaft zu einer prozyklischen Wirkung werden. D. h., z. B. sie erhöht die Nachfrage nicht mehr in einer Rezession, sondern verstärkt den Aufschwung. Eine weitere Schwäche der Nachfragepolitik liegt in der zunehmenden Verschuldung des Staates. Denn die in der Rezession aufgenommen Schulden sollten durch die Mehreinnahmen im Aufschwung wieder abgebaut werden, was allerdings in der Praxis schwierig umzusetzen ist.